Die Dichterin von Aquitanien
Tür hinter ihm zugefallen war, bevor sie zu dem Treffen mit Pierre eilten.
»Was soll ich von diesem Mann halten?«, flüsterte Marie, als Pierre sie zur Begrüßung an sich drückte. »Du bist doch mit deinem Vater manchmal in der Stadt gewesen. Du weißt besser als ich, wie vornehme Herrschaften aussehen.«
»Ich glaube, er ist wirklich ein Ritter des Königs«, gab er leise zu. »Seine Kleidung ist edel. Sein Auftreten zeugt von höherer Abkunft. Er besitzt ein Schwert.«
Marie nickte und ließ sich auf einem Baumstamm nieder. Zunächst war sie von einem Gefühl des Triumphs erfüllte gewesen, denn sie konnte sehr deutlich erkennen, dass sich hinter dem kühlen Abschied der Dorfbewohner Neid verbarg. Sie sollte in eine Zukunft am Königshof aufbrechen, wo prächtige Gewänder und köstliche Speisen auf sie warteten, sie würde ihr Leben nicht in der schmutzigen Armut Huguets verbringen. Es war ihr gelungen, selbst daran zu glauben und der Abreise mit Freude entgegenzusehen. Doch nun, da sie neben Pierre in der vertrauten Umgebung saß, wo sich ihr ganzes Leben abgespielt hatte, legte die Trauer sich wie eine schwere, schwarze Decke auf ihr Gemüt.
»Ich weiß nicht, wie es am Hofe eines Königs ist«, sagte sie, nun plötzlich unsicher geworden. »Ich kann nur hoffen, dass es mir gefallen wird. Nach Guillaumes Tod meinte ich völlig allein auf der Welt zu sein. Jetzt heißt es, ich hätte einen Onkel. Natürlich sollte ich zu ihm gehen.«
Mit diesen Worten versuchte sie, sich selbst zu überzeugen, doch konnte sie hören, wie schwach und ängstlich ihre Stimme klang.
»Dein Onkel ist kein gewöhnlicher Mensch, sondern ein König«, warf Pierre ein. »Ich weiß nicht, wie die Mächtigen dieser Welt sind. Gott hat sie ausgezeichnet. Doch die Händler erzählen, dass fast alle hohen Herren uneheliche Kinder hinterlassen. Die meisten von ihnen werden niemals anerkannt und leben in Armut wie ihre Mütter. Es scheint mir ein wenig merkwürdig, dass so plötzlich nach dir verlangt wird.«
Diese Worte versetzten Marie einen Stich, und sie fuhr empört herum.
»Mein Vater schickte regelmäßig Geld, damit ich hier aufwachsen konnte. Vielleicht wollte er mich selbst eines Tages zu sich holen, und als er im Sterben lag, bat er seinen Bruder darum.«
Auf einmal glaubte sie wirklich daran, genauso wie alle anderen Kinder des Dorfes eine Familie zu haben, der sie bald begegnen würde. Die dunkle Decke lichtete sich ein wenig, ließ einen hell leuchtenden Strahl in Maries Gemüt dringen.
Sie spürte, wie Pierre einen Arm um ihre Schulter legte, und lehnte sich der Wärme seines Körpers entgegen.
»Marie«, flüsterte er ihr sanft ins Ohr. »All dies mag ja stimmen, doch es tut mir weh, dich gehen zu lassen. Ich dachte immer, du wärest für den Rest deines Lebens an meiner Seite. Ein Teil von Huguet, verstehst du? Aber einer, der mir besonders nahe sein würde.«
Etwas Merkwürdiges geschah. Pierres vertrautes Gesicht näherte sich dem ihren. Sie konnte im Dämmerlicht deutlich erkennen, wie seine Augen strahlten, bevor er ihre Stirn und ihre Wangen zu küssen begann, und staunte, wie angenehm diese Berührungen waren. Immer enger drängte sie sich an Pierre, und als seine Lippen sich auf die ihren pressten, zog ein heftiges, fast schmerzhaftes Sehnen durch ihren ganzen Leib. Sie erwiderte seine Umarmung, ließ sich ganz in ihr Verlangen fallen. Wie zwei Teile eines Ganzen lagen sie nun eng umschlugen auf dem feuchten Waldboden. Marie glaubte, in weiter Ferne das Geräusch von Schritten zu hören, doch sie verschloss ihre Ohren, um den Zauber des Augenblicks nicht zu zerstören. Vermutlich schlich nur ein Wilderer vorbei. So würde nun doch alles anders kommen. Wenn Pierre es wollte, dann bliebe für den Rest ihres Lebens an seiner Seite, würde nicht zu einem Onkel gehen müssen, der für sie ein Fremder war.
Das Licht der Fackel traf sie wie ein Schlag. Es zerstörte den wunderschönen Moment, ließ ihn plötzlich abgeschmackt wirken.
»Es ist nun wirklich Zeit für Euch, sich niederzulegen, Demoiselle Marie«, erklang die Stimme von Guy de Osteilli. »Die Nichte eines Königs treibt sich nicht des Nachts im Wald herum.«
Marie blickte auf. Das Gesicht des Ritters war so glatt, dass es keine Empfindung zeigte. Nur die Augen leuchteten spöttisch.
»Und du Bauerntrampel solltest dich schleunigst auf den Heimweg machen. Sonst kriegst du von deinem Vater jene Tracht Prügel, die ich dir gerade großzügig
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