Die Diebe von Freistaat
windschiefen Hütte, in der sie mit ihrem Mann und sieben ihrer neun Kinder hauste und in der ihr Mann, nun, Dinge verkaufte. Hanse setzte sich mit überkreuzten Beinen vor sie hin. Ohne seine messerbestückten Armbänder und in einem staubigen Kittel von der Farbe eines alten Kamels sah er sehr jungenhaft aus. Er schaute zu, wie eine Perle unter Mondblumes Schultertuch in - wie sie es nannte - ihrer Schatztruhe und eine Melone zwischen ihren lavendelbemalten Lippen verschwand, und wie schnell!
»Du bist so ein guter Junge, Hanse.« Wenn sie sprach, klang Mondblume sanft wie ein Kätzchen.
»Nur wenn ich etwas will, Feuerblume.« Er wußte, daß sie es mochte, wenn er so redete.
Sie lachte, strahlte über das ganze Vollmondgesicht und strich ihm durchs Haar. Dann erzählte er seine Geschichte und reichte ihr schließlich, in einem einfachen Tuch verborgen, einen Streifen Seide, zwei Miederträger und zwei Brustschalen mit vielen F adenlöchern.
»Ah, du hast eine Dame in der Goldallee besucht! Wie lieb von dir, Mondblume vier der Perlen zu überlassen, die du so sorgfältig von diesem hübschen kleinen Mieder abgeschnitten hast.«
»Sie schenkte es mir für geleistete Dienste«, sagte er mit lässiger Geste.
»O ja, natürlich. Hmmmm.« Sie faltete den Seidenstreifen, legte ihn wieder auseinander, strich fast zärtlich darüber, zog ihn durch ihre Hände mit den vielen Grübchen am Rücken, und leckte ganz vorsichtig daran — ein übergroßes, dickes Kätzchen, wie sie so mit ihrer Gabe zu lesen begann. Sie schloß die Augen und war ganz still — genau wie Hanse, der wartete.
»Sie ist tatsächlich eine Ku ..., ich meine, was du gesagt hast.« Obgleich sie schon fast in Trance war, blieb Mondblume doch diskret. »O Nachtschatten! Du bist in eine Verschwörung verwickelt, wie du sie dir nicht einmal in deinen Träumen vorgestellt hättest. Seltsam — das muß der Kaiser sein, dieser ferne Beobachter! Und der riesenhafte Mann mit deiner ... ah ... Bekannten ... Ja, wahrhaftig ein Gigant mit einem buschigen Bart. In Uniform? Ich glaube ja. Beide unserem Herrscher nah. Doch ... ahhh ... sie sind seine Feinde. Ja. Sie haben sich gegen ihn verschworen. Sie ist eine Schlange und er ein gerissener Löwe. Sie wollen ah, jetzt sehe ich es! Der Prinz-Statthalter ist gesichtslos. Ja. Sie wollen, daß er sein Gesicht verliert!« Sie öffnete die Augen und starrte ihn groß an. »Und du, Hanse, mein Süßer, bist ihr Werkzeug!«
Sie blickten einander einen langen Moment an. »Am besten, du verschwindest eine Weile, Nachtschatten. Du weißt ja, was man mit Werkzeug macht, wenn es nicht mehr gebraucht wird.«
»Man wirft es weg!« knurrte er finster und bedauerte nicht einmal den Verlust von Lirains zierentblößtem Mieder, das Mondblume in einem schultertuchbedeckten weit größeren verschwinden ließ.
»Oder«, sagte sie sehr eindringlichen Blickes, »hängt es auf!«
Dann waren also Lirain und ihr (uniformierter?) Kumpan selbst Werkzeuge, schloß Hanse, während er durch die Straßen wanderte. Prinz Kadakithis war hübsch anzusehen und charismatisch. Also hatte sein kaiserlicher Halbbruder ihn nach Freistatt, in die hinterste Ecke des Reiches, geschickt. Und jetzt wollte er ihn unmöglich machen. Hanse verstand den Sinn dahinter durchaus und wußte, daß der Kaiser—was man auch Gegenteiliges über ihn sagen mochte - alles andere als ein Dummkopf war. So sah es demnach aus. Lirain hatte soviel über ihn, Hanse, gehört, daß sie Cusharlain beauftragt hatte, weitere Erkundigungen über ihn einzuziehen. Es war ihr gelungen, eine Begegnung mit ihm zu arrangieren. Obgleich es seinen Stolz kränkte, mußte er doch, zumindest sich selbst gegenüber, zugeben, daß sie es sehr geschickt geplant und angestellt hatte. Jetzt war also er ihr Werkzeug. Ein Werkzeug von Werkzeugen.
Doch zumindest war Kadakithis zu berauben schon seine Idee gewesen, ehe er diese berechnende Konkubine kennengelernt hatte. Solange er durch sie sein Ziel erreichen konnte, war er durchaus bereit, sie glauben zu lassen, er wisse nicht, daß sie ihn lediglich benutzte. O ja, er war bereit, ihr Werkzeug zu spielen, um in den Palast zu gelangen. Es gab beachtliche Möglichkeiten für einen klugen Mann, und Hanse hielt sich für doppelt so klug, wie er war, und das war beachtlich. Und schließlich, zum Werkzeug von komplottschmiedenden Werkzeugen gemacht zu werden, war viel zu erniedrigend, als daß Hanses Ego es hätte hinnehmen können.
Ja, er würde
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