Die Diebe von Troja - ein Abenteuer um Heinrich Schliemann
ging ein hoffnungsvolles Raunen durch die Menge, das in einem enttäuschten Aufseufzen endete, als die Männer feststellten, dass der Verunglückte reglos liegen blieb.
Schliemann war noch immer kreidebleich. Er griff in seine Jackentasche und zog eine kleine Flasche daraus hervor, schraubte sie auf und schüttete den Inhalt in sein Taschentuch. Dann schob er vorsichtig seinen linken Arm unter den Kopf des Verunglückten, hob ihn ein wenig hoch und hielt das durchfeuchtete Tuch dicht vor sein Gesicht.
»Atme«, murmelte er in flehendem Ton, »bitte, Jorgos, atme!« Immer wieder sprach er die Worte wie eine Beschwörung. Ansonsten war es totenstill. Mehrere Sekunden verstrichen. Ohne es zu bemerken, hatten Nikos und Jannis den Atem angehalten und starrten wie gebannt auf ihren Vater. Weitere kostbare Augenblicke vergingen, ohne dass irgendetwas geschah.
Doch dann, was war das? Von einer Sekunde auf die andere ging eine Veränderung in dem Gesicht ihres Vaters vor sich. Die Jungen bemerkten zunächst das leichte Zucken in einem seiner Mundwinkel, noch bevor die anderenMänner sahen, wie sich seine Augenbrauen zusammenzogen und er das Gesicht in Falten legte.
»Himmeldonnerwetter noch einmal«, fluchte er plötzlich leise, blickte zunächst auf das Tuch vor seiner Nase, dann sah er in die Runde und verzog sein Gesicht zu einem Lächeln.
»Er lebt!«, riefen die Männer, während sich Jannis und Nikos vor Freude gleichzeitig lachend und weinend auf ihren Vater stürzten.
»Jorgos Savvidis lebt! Er lebt!«, riefen einige Männer immer wieder, bis es auch der Letzte von ihnen verstanden hatte.
Auf einer schnell herbeigeschafften Bahre trugen sie ihn in den Schatten des Grabungshauses und reichten ihm mehrere Gläser Wasser, die er begierig seine ausgedörrte Kehle herabfließen ließ.
Plötzlich haute sich Jannis mit der Hand auf die Stirn. »Kann man so dumm sein wie wir?«, flüsterte er seinem Bruder zu. Nikos starrte ihn fragend an.
» J orgos S avvidis!« Während Jannis den Namen sprach, betonte er die Anfangsbuchstaben. »Verstehst du? JS! Vielleicht war das gar kein Unfall, verstehst du? Vielleicht haben die Männer ihre Drohung wahr gemacht und JS einen Denkzettel verpasst.«
Nikos stutzte. »Mein Gott, vielleicht hast du recht«, murmelte er fast tonlos. »Und weißt du, wer sich oberhalb des Grabens befand, als das Unglück passierte? Spyros! War das ein Zufall? Ist dir das aufgefallen? Obwohl derGraben genau dort zusammengestürzt ist, wo er mit seiner Schubkarre stand, ist ihm überhaupt nichts passiert. Das ist doch komisch, oder? «
Die Jungen sahen sich an.
Bereits im nächsten Moment wurden sie aus ihren Gedanken gerissen, als Yannakis, ein breitschultriger, muskulöser Mann, der Schliemann als Vorarbeiter diente, auf sie zutrat: »Nehmt euren Lohn. Geht mit eurem Vater nach Hause. Schliemann gibt euch beiden heute frei und eurem Vater so lange, bis er wieder gesund ist.«
Die Jungen halfen ihrem Vater auf die Beine, stützten ihn, der eine links, der andere rechts, und humpelten so zu ihrem wartenden Esel, der den Verletzten nach Hause trug.
Unerwarteter Besuch
W ährend der Esel gleichmütig den Weg entlangtrabte, blickten sich Jannis und Nikos immer wieder voller Sorgen an. Der Vater hielt sich mühsam auf dem Rücken des Tieres und krümmte sich vor Schmerzen. Die Brüder ahnten, dass in ihren Köpfen dieselben Gedanken kreisten: War das wirklich ein Unfall gewesen? Schwer zu sagen. Auf jeden Fall hatte ihnen dieser Vorfall etwas Wichtiges gezeigt. Sie mussten Spyros im Auge behalten. Und noch etwas anderes war ihnen plötzlich bewusst geworden: Offenbar gab es nicht nur einen einzigen JS, der seit der Nacht der Mutprobe in Gefahr schwebte.
Besonders Jannis machte sich Vorwürfe. Bisher hatte er nur an sich gedacht und an die Gefahr, in der er selbst schwebte: »JS, wer immer du bist, dich kriegen wir ...« – genau so hatte der Dicke gedroht, die Worte hatten sich Jannis ins Gedächtnis gebrannt. Und natürlich hatte ergeglaubt, dass die Drohung ihm und keinem anderen gegolten hatte ...
Vor ihrem Haus angekommen, brachten die Jungen den Esel zum Stehen und halfen dem Vater beim Absteigen. Stavroula, die Mutter, hatte sie durch das Küchenfenster kommen sehen und stürzte zusammen mit Elena, der älteren Schwester der Jungen, nach draußen.
»Was, um Gottes willen, ist passiert?«, schrie sie entsetzt. Während sie gemeinsam den humpelnden und ächzenden Verletzten ins Haus
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