Die Diebe von Troja - ein Abenteuer um Heinrich Schliemann
Solche und ähnliche Rufe hörten Jannis und Nikos von verschiedenen Stellen und beobachteten, wie es sich unter dem lockeren Sand regte und bewegte, wie nach und nach Simeon, Andreas und drei weitere Männer mehr oder weniger munter aus dem Erdboden krabbelten.
»Und wo ist Vater?«, Jannis starrte seinen Bruder angsterfüllt an.
Von Jorgos war nichts zu sehen, nichts zu hören. Er war begraben bei lebendigem Leib! Alle Männer, auch jene, die soeben noch selbst im Boden gesteckt hatten, standen oder hockten wie erstarrt und blickten wie versteinert auf die Unglücksstelle. So musste es aussehen, wenn die Erde gebebt und keinen Stein und kein Sandkorn auf dem anderen gelassen hatte. Aber die Erde hatte nicht gebebt, etwas anderes musste dieses Unglück ausgelöst haben. Aber was? Die Jungen hätten nicht sagen können, wie lange sie so verharrten. Sie waren kaum fähig, einen klaren Gedanken zu fassen, und nicht in der Lage, auch nur einen Finger zu rühren. Wie durch einen Nebelschleier nahmen sie wahr, dass Schliemann zur Unglücksstelle geeilt kam, kurz die Geretteten musterte und mit ihnen redete, einigen der herumstehenden Männerknappe Fragen stellte und ihnen dann klare Befehle erteilte.
Ob sie sicher waren, dass noch einer verschüttet war?
»Ja, absolut sicher«, antwortete der eine.
Die Jungen bemerkten, wie blass Schliemann wurde. Wo genau hatte der Verschüttete sich befunden, als die Erdmassen und Steine auf ihn herabgestürzt waren?
»Etwa hier«, zeigte ein anderer. »Vielleicht aber auch eher dort«, wusste ein Dritter. Und noch ein Vierter gab seinen Kommentar ab: »Nein, sucht hier, sucht bei dem großen Marmorbalken. Ich bin mir sicher, er müsste dort sein ... er stand während des Unglücks genau unterhalb dieses riesigen Steines, der in einem der seitlichen Gräben steckte. Unter dem dahinrieselnden Sand ist dieses wahnsinnig schwere Teil dann nach unten gerutscht.«
Die Jungen starrten auf einen riesigen Marmorquader, der in seinen ganzen unbeschreiblichen Ausmaßen auf dem Boden lag. Sie bekamen kein Wort über die Lippen, doch die Blicke, die sie wechselten, waren deutlicher als jeder ausgesprochene Satz.
»Wir können hier nicht untätig herumstehen«, schienen Nikos’ Augen zu sagen. Und Jannis stimmte ihm zu.
Wie auf Zuruf sprangen sie gleichzeitig über die durch den Einsturz entstandene Schräge bis zur tiefsten Stelle des Grabens hinab. Mit bloßen Händen, vorsichtig und doch schnell, wie besessen, begannen sie den Boden rund um den Marmorblock umzuwühlen.
Sie blieben nicht lange allein, einige Arbeiter folgtensogleich ihrem Beispiel. Und sogar Spyros tauchte plötzlich in ihrer Nähe auf, seine Stirn war schweißbedeckt, während auch er begann, den Boden umzupflügen. In allen Gesichtern standen Angst und Verzweiflung.
Wie viel Zeit mochte vergangen sein, seitdem das Unglück passiert war? Keiner der beiden Jungen hätte diese Frage sicher beantworten können. Hätte man seitdem bis hundert, bis tausend oder gar noch weiter zählen können? Die Jungen mochten diesen Gedanken nicht zu Ende denken. Bei der Vorstellung, dass ihr Vater, falls er überhaupt noch am Leben war, seit mehreren Minuten ohne Luft zum Atmen auskommen musste, schnürte sich ihnen der Hals zu. Doch sie buddelten weiter. Über dem Graben, aus dem zuvor die munteren Stimmen der Männer erklungen waren, lag nun tödliche Stille. Einzig die Geräusche, die während des Wühlens im Boden entstanden, waren zu hören. Endlich riss Jannis sie durch einen schrillen Aufschrei aus ihrem erstarrten Schweigen: »Hier! Kommt her, ich glaub, ich hab ihn!«
Nikos, Schliemann und die anderen Männer, unter ihnen Spyros, sprangen zu ihm hinüber. Im selben Moment sah man, wie der Kopf des Verschütteten sichtbar wurde. Er hatte die Augen geschlossen, sein Gesicht war aschfahl. Nikos und Jannis befreiten Mund und Nasenlöcher vorsichtig vom Sand, die anderen Männer schaufelten mit ihren großen Händen den restlichen Körper frei.
Behutsam hoben sie ihn hoch, dann trugen sie ihn aus der Tiefe des Grabens an die Erdoberfläche. Die Arme undBeine des Verschütteten hingen leblos herab. Kein Laut drang über seine Lippen. Nikos und Jannis sahen sich an, gelähmt vor Angst. War ihr Vater tot? Er sah aus, als schliefe er, aber seine Augen und sein Mund blieben geschlossen und seine Gesichtszüge unbewegt.
Ein Arbeiter klatschte ihm mehrmals mit der flachen Hand auf die Wangen, sodass sein Kopf hin- und herflog. Schon
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