Die Dornenvögel
Tag herbei, an dem Meggie alt genug sein würde, ihr zu helfen. Bereits jetzt übernahm das Kind einfache Aufgaben, aber mit seinen vier Jahren konnte es die Last natürlich noch nicht wirklich erleichtern. Sechs Kinder insgesamt, doch nur eines - und dazu noch das jüngste - ein Mädchen. All ihre Bekannten empfanden gleichzeitig Mitleid und Neid, aber dadurch wurde die Arbeit auch nicht getan. In ihrem Nähkorb befand sich ein wahrer Berg ungestopfter Socken, und ihre Stricknadeln steckten in einem angefangenen Strumpf. Hughie wuchs aus seinen Pullovern heraus, und bei Jack war’s noch nicht soweit, daß er die seinen an Hughie hätte weitervererben können.
Ein reiner Zufall wollte es, daß Padraic Cleary in dieser Woche, der Woche von Meggies Geburtstag, nach Hause kam. Mit der Saison für die Schafschur war es noch nicht soweit, und er hatte gerade in der Nähe einen vorübergehenden Job: pflügen und pflanzen. Von Beruf war er Schafscherer, doch das war Saisonarbeit und dauerte von der Mitte des Sommers bis zum Ende des Winters; danach kam dann das Lammen. Meist fand er reichlich Arbeit, um den Frühling und den ersten Sommermonat zu überbrücken. Er half beim Lammen und beim Pflügen und sprang auch beim Melken ein, wenn irgendwer in einer Molkerei diese ewige Zweimal - pro-Tag- Routine mal satt hatte. Wo es Arbeit gab, dorthin machte er sich auf. Seine Familie ließ er in dem großen, alten Haus zurück, und sie mußte sehen, daß sie allein zurechtkam. Das war keineswegs grob oder gefühllos von ihm: Wenn man nicht das Glück hatte, Land zu besitzen, blieb einem gar nichts anderes übrig. Als er kurz nach Sonnenuntergang kam, brannten die Lampen, und Schatten huschten unruhig über die Wände und die hohe Decke. Auf der Hinterveranda spielten die Jungen mit einem Frosch. Nur Frank war nicht dabei. Doch Padraic wußte, wo er sich befand. Vom Holzhaufen her erklangen die regelmäßigen Schläge einer Axt. Rasch gab er Jack einen Tritt ins Hinterteil, zog Bob am Ohr. »Los, ihr kleinen Faulpelze! Helft Frank drüben beim Holz! Und seht zu, daß ihr damit fertig seid, bevor Mum den Tee auf dem Tisch hat. Sonst setzt es was!«
Gleich darauf war er in der Küche und nickte Fiona zu, die am Herd stand. Er gab ihr keinen Kuß, umarmte sie auch nicht. Ein solcher Austausch von Zärtlichkeiten zwischen Mann und
Frau gehörte nach seiner Überzeugung ins Schlafzimmer. Seine Stiefel waren von Schlamm überkrustet, und als er sie jetzt auszog, benutzte er dazu den Stiefelknecht. Meggie kam hereingehüpft. Sie brachte ihm seine Hausschuhe, und er lächelte ihr zu: Wie stets, wenn er sie sah, überkam ihn ein eigentümliches Gefühl, ein Erstaunen, Sich-Verwundern. Wie hübsch war sie doch, und wie schön war ihr Haar!
Er griff nach einer Locke, zog sie lang, ließ sie wieder los - nur um zu sehen, wie sie für Augenblicke hin und her tanzte. Dann hob er Meggie hoch und setzte sie auf den einzigen bequemen Stuhl, den es in der Küche gab, einen sogenannten Windsor-Stuhl. Er stand nicht weit vom Feuer, auf seiner Sitzfläche lag ein Kissen. Padraic seufzte behaglich, zog seine Pfeife hervor, klopfte sie am Stuhlbein aus. Aschen- und Tabakreste fielen auf den Fußboden, er achtete nicht weiter darauf. Meggie machte es sich auf seinem Schoß bequem und schlang ihre Arme um seinen Hals. Und dann wandte sie ihr Gesicht zu ihm empor und tat, was sie fast immer tat, wenn er abends zu Hause war. Sie spielte eine Art Spiel: beobachtete, wie das Licht gleichsam durch die kurzen, goldenen Stoppeln seines Bartes filterte. »Wie geht’s dir, Fee?« fragte Padraic Cleary.
»Gut, Paddy«, erwiderte seine Frau. »Hast du heute die untere Koppel geschafft?«
»Ja, ich bin fertig damit. Gleich morgen früh kann ich mit der oberen anfangen. Aber, Herrgott, was bin ich müde!« »Hat MacPherson dir wieder diese alte Stute gegeben?« »Aber ja. Könnte das Tier doch mal selber nehmen und mir den Rotschimmel überlassen, nicht? Fällt ihm nicht ein. Meine Arme fühlen sich wie aus den Gelenken gerissen. Ich schwöre dir, diese Stute hat das härteste Maul in En Zed.«
»Na, laß nur. Old Robertson hat nur gute Pferde, und du wirst schon bald dort sein.«
»Kann gar nicht bald genug sein.« Er stopfte groben Tabak in seine Pfeife und nahm aus dem großen Kasten beim Herd einen Span, den er kurz ins Feuerloch hielt. Das Holz flammte auf, und er lehnte sich zurück und sog die Luft durch den Pfeifenstiel so tief ein, daß aus dem
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