Die Dornenvögel
nutzloses Opfer von Dir. Mach Dir also klar, wo Du hingehörst, und werde in Deiner Welt richtig heimisch.«
Der Schmerz. Es war genau wie in den ersten Tagen nach
Danes Tod. Das gleiche Gefühl der Ohnmacht, der völligen Hilflosigkeit. Mum hat recht. Ich kann nichts tun! Ich kann gar nichts tun! Irgend etwas schrie. Irgend etwas gellte. War das in ihr? Nein, nur der Wasserkessel. Rasch nahm sie ihn vom Herd herunter. Aber so sollte ich schreien. Sollte mich freischreien. Doch kann man das überhaupt? Wie soll man sich freischreien, wenn man so zurückgestoßen wird?
Oh, Mum! Mum! Ich bin das einzige Kind, das du noch hast, doch mich willst du nicht! Glaubst du nicht, ich wäre an Danes Stelle gestorben, wenn ich das hätte tun können? Es war nicht richtig, daß er sterben mußte.
... doch sie hat recht. Erst jetzt beginne ich langsam zu begreifen. Jetzt, wo der Schmerz nachläßt über das, was ich für eine Zurückweisung hielt. Ja, sie hat recht. Wenn ich nach Drogheda zurückkehre, so ändert das nichts daran, daß er nie mehr zurückkehren kann. Nein, er kann es nicht, obwohl er dort liegt, für immer. Ein Licht ist erloschen, und ich kann es nicht wieder anzünden. Aber jetzt verstehe ich, was sie meint. Mein Licht brennt noch in ihr. Nur nicht auf Drogheda.
Fritz öffnete ihr. Wie stets, wenn er nicht chauffierte, trug er eine Art Butler-Uniform. »Herr Hartheim befindet sich in seinem Arbeitszimmer, Miß O’Neill.«
Rain saß am Kamin. Als sie eintrat, drehte er den Kopf, doch er sagte kein Wort, und sein Gesicht blieb ohne jeden Ausdruck. Sie trat auf ihn zu, und dann kniete sie plötzlich vor ihm nieder und legte den Kopf auf seinen Schoß.
»Rain«, flüsterte sie, »es tut mir so leid wegen all der Jahre - so leid.« Er hob ihr Gesicht zu sich auf, glitt dann vom Stuhl, kniete neben ihr.
»Ein Wunder«, sagte er.
Sie lächelte ihn an. »Du hast nie aufgehört, mich zu lieben, nicht wahr?«
»Nein, Herzchen, nie.« »Ich muß dir sehr, sehr weh getan
haben.«
»Nicht so, wie du denkst. Ich wußte, daß du mich liebtest, und ich konnte warten. Ich habe immer geglaubt, daß der Geduldige am Ende gewinnen muß.«
»Und so hast du also darauf gebaut, daß ich von selbst zur Einsicht komme. Aber als ich sagte, ich würde nach Drogheda zurückkehren, warst du da gar nicht besorgt?«
»O doch. Wäre es ein anderer Mann gewesen, hätte ich mich gewiß nicht weiter beunruhigt, aber Drogheda? Ein Widersacher von Format. Ja, ich war besorgt.«
»Daß ich nach Drogheda wollte, wußtest du schon, bevor ich es dir sagte ja?«
»Clyde ließ die Katze aus dem Sack. Er rief mich in Bonn an und fragte, ob es nicht irgendeine Möglichkeit gäbe, dich von deinem Entschluß abzubringen. Nun, ich erklärte ihm, er solle für die nächsten ein oder zwei Wochen stillhalten, ich würde sehen, was sich tun ließe. Nicht um seinetwillen, Herzchen. Um meinetwillen. Ich bin kein Altruist.«
»Das meint Mum auch. Aber dieses Haus! Hattest du es wirklich schon vor einem Monat?«
»Nein. Und ich habe auch noch gar kein richtiges Verfügungsrecht darüber. Aber wenn du deine Bühnenlaufbahn fortsetzen willst, dann werden wir wohl ein Haus in London brauchen. Gefällt es dir wirklich? Nun, dann werde ich versuchen, es für uns zu bekommen. Sogar die Renovierung würde ich dir anvertrauen - vorausgesetzt allerdings, wir einigen uns darauf, Orange und Shocking-Pink in Acht und Bann zu tun.«
»So etwas von Hinterlist - das hätte ich nie von dir gedacht. Warum hast du nicht einfach gesagt, daß du mich liebst. Ich hätt’s so gern von dir gehört.«
»Nein. Du konntest es selbst sehen, und du mußtest es selbst sehen.« »Ich fürchte, daß ich permanent von Blindheit geschlagen bin. Ich habe es nämlich nicht wirklich selbst gesehen. Ich brauchte dazu etwas Hilfe. Meine Mutter hat mich schließlich dazu gebracht, die Augen aufzumachen. Heute abend war ein Brief von ihr da, und darin stand, ich solle nicht nach Hause kommen.« »Sie ist ein wunderbarer Mensch, deine Mutter.« »Du hast sie kennengelernt, Rain, nicht wahr? - Wann?« »Vor einem Jahr war ich bei ihr. Drogheda ist großartig, aber es ist nichts für dich, Herzchen. Ich habe damals versucht, deiner Mutter das klarzumachen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue, daß sie es eingesehen hat. Dabei habe ich bestimmt nicht übermäßig gescheit argumentiert.«
Sie legte ihren Zeigefinger auf seine Lippen. »Ich habe selbst gezweifelt,
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