Die Drachenlanze (Die Saga von den drei Königreichen) (German Edition)
zur Seite schob und zum Pater an den Altar lief. Noch bevor der fassungslose Gunnar nach den Wachen gerufen hatte, streckte der blonde Hühne seine Hände in die Höhe und rief: „Volk der Drakinger. Was hier geschieht ist unrechtmäßig. Hört mich an.“
Gunnar hatte sich endlich erholt und rief mit zornrotem Gesicht: „Wer bist du Fremder und wie wagst du es, diese heil ige Eheschließung zu unterbrechen? Verlasse diesen heiligen Ort oder ich werde zum ersten und letzten Mal das Gesetz der Unantastbarkeit in einer Kirche brechen.“
Mit lauter Stimme wandte der Fremde ein: „Höre mich an, König Gunnar. Und dann entscheide. Ich sage, diese Hoc hzeit ist unrechtmäßig.“
Stikle war nicht mehr zu halten und erstürmte das Podium, wo er sich, viel kleiner in Gestalt, neben dem Fremden aufbaute. „Wer bist du? Sprich deine letzten Worte, bevor ich dich rausschleife und zu Beerenmus verarbeite.“ Stikles Drohungen wirkten angesichts des Größenunterschiedes etwas unpassend.
„Mein Name ist Petar. Petar aus Rülund.“ Einigen der Anwesenden fiel die Kinnlade hinunter, als würden sie auf einmal verstehen. Ketill stellte mit einigem Unbehagen fest, dass Sveia auch zu den Verstehenden gehörte. Sie rief ungläubig aus: „Petar?“ Der Blonde lächelte und rief in die Menge: „Ja, ich bin Petar, Herrscher von Rülund und diese Frau“, damit deutete er auf Sveia, „ist mir versprochen worden.“
75. Sonnenaufgang
hre Lederschuhe drückten einen matschigen Abdruck in den Schlamm, der die frühlingsnassen Felder von Narband bedeckte. Sie spürte ihre Füße nicht mehr - zum einen, weil sie zu kalt waren, zum anderen, weil der Hunger alle anderen Gedanken und Gefühle verdrängte. Wie lange hatte sie nicht mehr gegessen? Drei oder vier Tage? Da sie nur nachts über die Felder lief und sich tagsüber in den Bäumen und Büschen der umliegenden Wälder versteckte und die Weiler mied, hatte sie keine Möglichkeit, an etwas Essbares zu kommen. Sie hatte sich vorgenommen, mindestens fünf Tage zu laufen, bevor sie wagen wollte, bei einem Hof nach Essen zu fragen. Die Schergen der Kirche hatten gewiss ihre Späher überall verteilt, um sie zu finden.
Immer wieder sah sie das erstaunte Gesicht Mutter Maris vor sich, als der Kerzenleuchter auf sie herabgesaust war. Erstaunen, Unglauben, Entsetzen – so viele Gefühle, in nur einem Moment, ausgedrückt in nur einem Blick. Es war ein schöner Moment für Cyril gewesen, aber es war eben nur ein Moment und er zog weitreichende Konsequenzen nach sich. Cyril hatte sich, im Zimmer stehend, die röchelnde Äbtissin am Boden beobachtend, Zeit gelassen, sich zu überlegen, was sie tun solle. Ihr waren mehrere Ideen durch den Kopf gerast, verrückte Ideen, verwegene Ideen. Für einen kurzen Moment hatte sie mit dem Gedanken gespielt, zu behaupten, die Äbtissin hätte ihr die Macht über das Kloster gegeben. Es war ein befriedigender Gedanke, aber ihr war klar gewesen, dass der Schwindel relativ schnell aufgeflogen wäre. Dann war ihr der Plan gekommen, den Tod der Oberin als Unfall zu vertuschen, aber auch diese Idee hatte sie bald verworfen. Sie hatte noch ein paarmal zuschlagen müssen, um das unverständliche Gebrabbel der Äbtissinim Todeskampf zu beenden. Die vielen Einschläge auf ihren Schädel konnten von keinem Unfall rühren, das hätte jeder entdecken können. Als dann Schritte zu hören waren, war Cyril nichts anderes übrig geblieben, als sich zu verstecken. Sobald die schreiende Nonne den Raum wieder verlassen hatte, hatte sich Cyril auf den Weg nach unten gemacht und war über den Kreuzgang gehuscht. Über das hintere Tor war sie nach draußen gelaufen, was, wie sie sich mittlerweile eingestehen musste, ein dummer Fehler gewesen war. Sie hätte sich erst in der Speisekammer Proviant holen müssen, um nicht diesem drängenden Hungergefühl zu unterliegen, das ihr den Magen verkrampfte und ihre Schritte kleiner werden ließ.
Aber sie musste weiter. Sicher war die Nachricht ihrer Flucht an das Landvolk gedrungen und sicher gab es eine Belo hnung auf ihren Kopf. Sie wusste, dass sie nur eine Chance hatte lebend aus dieser Sache herauszukommen. Sie musste es bis zu ihrer Mutter schaffen und dann vor dem Herzog um Vergebung flehen. Ioric würde verstehen. Sie würde ihn wieder um ihren Finger wickeln und dann würde alles gut werden. Sie musste nur weiter.
Während der Morgen graute, sah sie in einiger Entfernung Rauch aufsteigen. Das musste ein Weiler sein.
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