Die Drachenreiter von Pern 03 - Drachengesang
Frühlingssonne schmerzhaft hell das Land überflutete.
Sie fand die Moosbeerensträucher, aß eine Handvoll der saftigen Früchte und sammelte einen kleinen Vorrat für unterwegs.
Nun, da sie besser sehen konnte, wohin sie ging, lief sie zur Küste hinunter und suchte in einer kleinen Bucht Spinnenklauen. Ein leckeres Mitbringsel für die Echsenkönigin, dachte sie, während sie ihren Lederbeutel füllte. Oder konnten Feuerechsen auch im Nebel nach Beute Ausschau halten?
Menolly schleppte ihren Sack durch langgestreckte Täler und über Hügelrücken, und nach einer Weile verwünschte sie sich, weil sie mit dem Sammeln der Spinnenklauen nicht länger gewartet hatte. Sie fühlte sich matt und verschwitzt. Nun, da das prickelnde Gefühl von Trotz und Ungehorsam nachließ, empfand sie eine gewisse Niedergeschlagenheit. Auf der Burg bemerkte vermutlich kein Mensch, daß sie fortgegangen war. Und keinem würde in den Sinn kommen, daß sie das Eingangsportal offen gelassen hatte – ein schlimmer Verstoß gegen die Sicherheitsvorschriften der Burg.
Menolly wußte nicht genau, warum – denn wer sollte schon in die Burg am Meer eindringen, wenn er dort nichts zu tun hatte?
Wer würde den weiten, gefährlichen Weg durch die Sümpfe wagen?
Wozu?
Es gab noch mehr Vorsichtsmaßnahmen in der Halbkreis-Bucht, die ihr lächerlich erschienen. Weshalb mußte man Nacht für Nacht alle Türen verriegeln und offene Leuchten aus unbenutzten Räumen entfernen, wenn die Dinger in allen Korridoren brannten? Leuchten konnten kein Feuer entfachen, und wenn man einige mehr anließ, gab es dafür um so weniger blaue Flecken an den Schienbeinen.
Nein, vermutlich bemerkte keiner ihre Abwesenheit, außer es gab eine unangenehme oder langweilige Arbeit die auch ein einhändiges Mädchen erledigen konnte. Und da man von ihr gewohnt war, daß sie tagsüber verschwand, würde man frühestens am Abend nach ihr suchen.
Erst bei diesen Gedankengängen kam ihr zu Bewußtsein, daß sie nicht die Absicht hatte, in die Burg zurückzukehren. Erschrocken über ihren eigenen Mut, blieb sie unvermittelt stehen.
Nie mehr zur Burg zurückkehren?
Nie mehr all die gräßlichen, monotonen Arbeiten verrichten?
Nie mehr Fische ausnehmen, salzen, säuern, räuchern?
Nie mehr Netze, Segel, Kleider flicken?
Nie mehr Kräuter, Beeren, Gräser, Spinnenklauen sammeln?
Nie wieder alte Onkel und Tanten versorgen, Geschirr spülen, am Webstuhl sitzen?
Singen, lachen, schreien und spielen, wann immer sie Lust dazu hatte?
Schlafen … oh, wo sollte sie schlafen?
Und wo würde sie sich bei Fädeneinfall verkriechen?
***
Menolly stapfte langsam durch die Sanddünen, aufgewühlt von ihren rebellischen Gedanken. Nachts mußte einfach jeder zurück in die Burg? Seit sieben Planetendrehungen regnete es Sporen, und keiner wagte sich weit von seinem Unterschlupf weg. Sie erinnerte sich vage an ihre Kindheit, an Händler-Karawanen, die vom Frühling bis zum Herbst durch das Marschland zogen. Das waren bessere Zeiten gewesen, mit viel Musik und manchem Fest. Damals hatte man das Burgportal noch nicht verrammelt.
Sie seufzte … Die guten alten Zeiten, von denen Onkelchen und die zänkischen Tanten immer erzählten. Aber mit dem Fädeneinfall hatte sich alles verändert – zum Schlechten. Zumindest gewann man diesen Eindruck aus den Reden der Erwachsenen.
Eine seltsame Stille, ein vages Unbehagen, ließ Menolly aufmerksam umherschauen. Ganz sicher war zu so früher Stunde niemand außer ihr unterwegs. Sie warf einen prüfenden Blick zum Himmel. Der Nebel entlang der Küste löste sich rasch auf. Sie sah, wie die Schwaden nach Norden und Westen zogen. Im Osten strahlte die Morgensonne, und nur weit im Nordosten erkannte man einen Streifen Grau – die letzte Spur des Frühnebels. Dennoch beunruhigte etwas Menolly. Sie kam nicht dahinter, was es war.
Sie befand sich inzwischen in einem Sumpftal nahe der Drachen-Steine; von hier aus stieg das Land sanft zu den Küstenklippen an. Als sie das Marschland durchquerte, wußte sie mit einemmal, was sie störte: die Stille. All die winzigen Insekten, die sonst geschäftig umhersummten, und die Wildwhere, die durch das Gras raschelten – sie schwiegen. Jene tausend kleinen Aktivitäten, die begannen, sobald die Sonne aufging, und andauerten bis zum Abend … sie ruhten.
Es war, als hielte jedes Lebewesen den Atem an. Unbewußt lief Menolly schneller. Und sie schaute immer wieder über die rechte Schulter, zu jenem
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