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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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kicherten, um sich zu pfetzen, und trieben Schindluder mit den Novizen. Sagte eine:
    »Wenn uns nun ein hübscher Junker vom Himmel fiele, wo könnten wir ihn am besten verstecken?«
    »Bei der Schwester Olivia«, erwiderte eine andere, »sie hat die größte Zelle, da ginge er hinein mitsamt Helm und Pike.«

     
    »Was soll das heißen?« rief Schwester Olivia. »Sind denn unsere Zellen nicht gleich groß?«
    Und der ganze Schwarm fing an vor Lachen zu platzen wie reife Feigen.
    Eines Abends zogen sie eine hübsche Novize zu ihrem kleinen Konzil hinzu. Sie war erst siebzehn, schien unschuldig wie ein neugeborenes Kind, und man hätte ihr den Fronleichnam ohne Beichte gegeben. Der lief das Wasser im Munde zusammen bei diesem heimlichen Getuschel und all dem Jux und Geschluchz, womit die guten Nönnchen ihre sakrosankte, göttliche Leibeigenschaft sich versüßten. Sie würde geweint haben, wenn sie nicht mehr zugelassen worden wäre.
    »Nun«, sagte Schwester Olivia, »hast du auch gut geschlafen, mein sanftes Täubchen?«
    »Gar nicht«, antwortete sie, »ein garstiger Floh hat mich keinen Augenblick in Ruhe gelassen.«
    »Ah, du hast Flöhe in deiner Zelle? Aber da mußt du sofort deine Zelle säubern. Weißt du nicht, daß die Regel unsres Ordens dies gebietet? Nicht den Schwanz von einem Floh soll eine Schwester in ihrem klösterlichen Leben zu sehen bekommen.« »Aber was tun?« fragte die Novize.
    »Das sollst du hören. Schau dich um, siehst du einen Floh in meiner Zelle? Siehst du auch nur ein Flohschißchen? Siehst du auch nur die Spur von einem Floh? Riechst du den Geruch von einem Floh? Ist auch nur eine Ahnung von einem Floh in meiner Zelle? Spür und stür, wo du willst.«
    »Ich kann nichts finden«, sagte die Kleine, die ein Fräulein von Fienne war, »ich rieche auch nichts, es sei denn unseren eigenen Geruch.«
    »Also tue, was ich dir sage, und du wirst nicht mehr gebissen werden. Sobald du wieder einen Flohstich an dir bemerkst, meine Tochter, mußt du deinen Körper aussuchen in allen Gegenden und Richtungen und das Hemd aufheben von oben und unten, aber ohne sündige Gedanken, was du auch sehen magst, das merke dir. Du darfst mit nichts beschäftigt sein als mit dem kleinen Teufel von Floh, du mußt ihn suchen mit allem Eifer und darfst sonst auf nichts achthaben; an nichts darfst du denken, als wie du den Floh erwischen magst, was ohnedies keine leichte Sache ist, um so mehr, als dich vielleicht ein kleines braunes Fleckchen von Muttermal leicht irreführen kann. Hast du ein Muttermal oder mehrere?«
    »Gewiß«, antwortete die Kleine, »ich habe zwei violette Linschen, das eine auf der Schulter, das andre auf dem Rücken, das heißt ein wenig tief, man kann es übrigens nicht sehen, es sitzt zwischen ...«
    »Woher weißt du denn das?« fragte die Schwester Perpetua.
    »Ich wußte nichts davon, der Herr von Montrezor hat es entdeckt.«
    »Oho«, riefen die Schwestern, »und hat er sonst nichts gesehen?«
    »Er hat alles gesehen«, antwortete sie. »Ich war noch ein ganz kleines Ding, er war so an die neun Jahre, und wir spielten zusammen ...«
    Da merkten die Nonnen, daß sie zu früh gelacht hatten.
    »Der gedachte Floh«, nahm Schwester Olivia wieder das Wort, »der gedachte Floh hat also gut seine Sprünge machen, vom Knie zum Nabel, vom Nabel zum Auge und sich zu verschanzen hinter Wällen, sich zu verkriechen in den Gräben, sich zu verstecken in den Wäldern und dir immer und immer wieder zu entwischen. Die Regel unsres Ordens gebietet, ihn zu verfolgen mit der äußersten Hartnäckigkeit, indem du andächtig dein ›Gegrüßet seist du‹ betest. Beim dritten ›Gegrüßet seist du‹ bekommt man ihn übrigens fast immer.«
    »Den Floh?« fragte die Novize.
    »Nichts als den Floh«, erwiderte Schwester Olivia. »Um aber die Gefahren dieser Jagd zu vermeiden, ist es nötig, wo du auch den Finger auf das Tier setzest, nicht etwas anderes mitzugreifen, kein Härlein und nichts. Und dann darfst du dich nicht erweichen lassen von seinem Geschrei, Gewimmer und Geseufz, und wie er sich auch wehrt und windet und sich gegen dich aufbäumt, was oft vorkommt, du mußt ihm den Daumen aufs Auge setzen oder auch einen andern Finger, der gerade zur Hand ist, und mit der andern freien Hand mußt du nach einem Stück Band greifen und ihm das Gesicht verbinden, daß er dir nicht davonhüpft. Denn wenn er nicht mehr sieht, kann er auch den Weg nicht mehr finden. Übrigens könnte er dich immer noch

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