Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)
schlimme Sachen passieren können.«
»Noch andre, als unversehens ein Kind zu bekommen?« fragte eine junge Schwester.
»Unter der Regierung des neuen Königs«, antwortete Schwester Ursula achselzuckend, »ist Gott Amor vom Aussatz befallen worden, wie der heilige Antonius selig, von Schlimmerem als dem Aussatz, von einer scheußlichen Krankheit, die der Teufel erfunden, und hat das furchtbare, gärende und schwärende Gift mit seinem Gefolge von Fiebern, Todesängsten, Salbereien und Schmierereien überall herum ausgespritzt zum Glück für die Klöster, da unzählige Damen aus Furcht und Entsetzen davor tugendhaft geworden sind.«
Entsetzt von diesen Worten, drängten sie sich ängstlich aneinander, hätten aber doch gern mehr erfahren.
»Und also braucht man nur zu lieben, um elend zu werden?« fragte eine Schwester.
»Nicht anders, mein Lämmlein«, beteuerte Schwester Olivia.
»Du brauchst nur«, fuhr Schwester Ursula fort, »du brauchst nur ein einziges klein winziges Mal einen hübschen Junker zu lieben, und bald, wenn es dein Unglück will, wird dir ein Zahn nach dem andern schwarz werden, werden dir eins ums andre unter gräßlichem Schmerz die Haare ausfallen und die Augenwimpern, und wo sonst deine Haut rosig war, wird sie blau werden ... oh, wie schmerzlich der Abschied von all den schönen Dingen. Es gibt Frauen, denen ein ekelhafter Krebs die Nase zerfrißt, andre haben ein scheußliches, tausendfüßiges und tausendmäuliges Tier im Leib, das ihnen bei lebendigem Leibe das frißt und verzehrt, was sie Zartestes an sich haben. Kurz, so ruchlos ist die Natur dieser Liebe, daß der Papst sich genötigt gesehen hat, die Exkommunikation über sie zu verhängen.«
»Gott, wie bin ich glücklich«, rief die kleine Novize aus, »daß ich so fürchterlichen Qualen glücklich entronnen bin.«
Bei diesem Ausruf sahen sich die Nonnen untereinander an. In dieser Kleinen hatten sie sich geirrt. Die war also längst irgendwo mit dem Kruzifix von Poissy in Berührung gekommen und hatte Schwester Olivia schön über den Löffel barbiert. Sie freuten sich dessen und daß der Gelbschnabel eine so lustige Haut war. Nur hätten sie gern gewußt, durch welches Abenteuer sie hinter die Klosterriegel geraten war.
»Ach«, sagte sie, »ich habe mich von einem großen Floh beißen lassen, der schon getauft war.«
Bei diesen Worten entschlüpfte der Schwester in b-Moll ein zweiter hörbarer Seufzer.
»Ah«, rief Schwester Olivia, »nun nur noch den dritten. Hüte dich aber, im Chor eine solche Sprache zu führen. Es könnte der Äbtissin einfallen, dich zur Diät der Schwester Petronella zu verdammen. Ich rate dir, deiner Musika einen Dämpfer aufzusetzen.«
»Du hast ja Schwester Petronella bei ihren Lebzeiten gekannt«, sprach nun Schwester Ursula, »ist es wahr, daß Gott ihr die Gnade verliehen hatte, nur zweimal im Jahr – wie sagt gleich das Volk auf dem Unterhofgericht zu erscheinen?«
»So ist es«, erwiderte Schwester Olivia. »Dafür mußte sie aber auch einmal, als sie sich am Abend schon gestellt hatte, harren bis zu den Frühmetten. Sie sagte aber immer nur: »Herr, dein Wille geschehe.« Beim ersten Glockenzeichen aber wurde sie von dem, was sie gedrückt hatte, befreit, damit sie die Messe nicht versäume. Dennoch wollte die verstorbene Äbtissin nicht zugeben, daß irgendein Wunder oder spezielle Gunst von oben dabei im Spiel sei; sie sagte, die Augen Gottes tauchten nicht in diese Regionen. Ich will euch aber die Geschichte in der Ordnung erzählen: Unsre Schwester selig, deren Heiligsprechung unser Orden im Augenblick am päpstlichen Hofe betreibt und auch bereits erlangt hätte, wenn er imstande wäre, die gesetzlichen Gebühren zu bezahlen, diese Schwester Petronella hatte frühzeitig den Ehrgeiz, ihren Namen in den Kalender zu bringen, was ja dem Orden kein Schaden war. Sie lebte in ewigem Gebet, hatte Ekstasen vor dem Bild der Heiligen Jungfrau drüben bei den Wiesen, und wie es Hanswurste gibt, die das Gras wachsen hören wollen, so behauptete sie, den Flug der Engel zu hören droben im Himmel, ja, sie war sogar imstande, deren Flügelschwingungen in Musik umzusetzen, und ihr entzückender Kantus ›Adoremus‹, den jedermann kennt und den kein Mensch je hätte erfinden können, ist in der Tat aus jener Quelle geflossen. Ihr Blick war oft tagelang unbeweglich wie ein Stern, sie fastete jeden Tag des Jahrs und nahm kaum mehr Nahrung zu sich, als auf einem Fingernagel Platz gehabt hätte. Sie
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