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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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den Weg nach Poissy, nicht jedoch ohne des öfteren mit einem Freund da und einem Kameraden dort eine Kanne zu leeren, da mehr als eine Kneipe am Weg lag, wobei dann der Hosenlatz des würdigen Erzbischofs manches zu sehen und zu hören bekam, was ihm in seiner Unschuld noch nicht vorgekommen war. Er gelangt aber doch zum Schluß beim Kloster zu Poissy an und sagt zur hochwürdigen Äbtissin, daß sein Herr ihn schicke, um ihr dies zu überbringen. Darauf trottete er sich ohne weiteres davon und ließ die heilige Mutter allein mit dem nicht zu nennenden Kleidungsstück, das schon so lange gewohnt war, die erzbischöflichen Formen in Hoch- und Basrelief zu modellieren, ebenso wie den Abdruck dessen, was nach dem Sagen der Schwester Ursula der liebe Gott seinen Engeln vorenthalten hat und wovon diesem guten Prälaten auch nicht übermäßig viel beschert worden war. Ohne das hochwürdige Geschenk, unter dem sie sich keine kleine Kostbarkeit dachte, erst auszupacken, rief die Äbtissin ihre Nonnen herbei. Neugierig huschte es aus allen Zellen hervor, und in einer Aufregung, wie sie in einem Ameisenhaufen entsteht, in deren Republik die Bombe einer fallenden Kastanie hineingefahren ist, kamen sie von allen Seiten getrippelt, streckten die Hälse und drängten sich um die geheimnisvolle Sendung. Als sie aber plötzlich den Hosenlatz klaffen sahen – er sperrte ganz fürchterlich das Maul auf –, da stießen sie einen einzigen Schrei des Entsetzens aus, drückten die Hände vor das blasse Gesicht, und einige sahen schon den Teufel sich leibhaftig daraus emporrecken.
    »Bedeckt euer Antlitz, meine Töchter«, sprach die Äbtissin, »das ist die Wohnung der Todsünde, die Fleisch geworden ist.«
    Die Oberin der Novizen stellte fest, indem sie sich selber durch die Finger schaute, daß nichts Lebendiges in der Hülle sei, worüber sich die ganze Gesellschaft ein wenig beruhigte und mit ganz behaglichem Erröten das seltsame Habitaculum beaugenscheinigte. Dann berieten sie sich, ob es vielleicht die Absicht des heiligen Priesters gewesen sei, ihnen mit diesem Symbol, ungefähr wie in Form einer biblischen Parabel, eine heilsame Ermahnung zukommen zu lassen. Es waren ohnedies lauter sehr tugendhafte Kinder, und wenn auch manches Herzchen nicht ganz ruhig dabei blieb, sie achteten dessen nicht weiter, und nachdem sie ein wenig Weihwasser in den teuflischen Abgrund gespritzt, wurden sie allmählich ganz vertraut damit und wagten nicht nur hinzusehen, sondern auch dran zu rühren. Auch die Äbtissin hatte sich von ihrem Schrecken so weit erholt, daß sie bereits die Sprache wiederfand.

     
    »Was ist denn nur dem guten Seelenhirten eingefallen«, rief sie aus; »was für eine Absicht kann unser ehrwürdiger Vater gehabt haben, uns eine Sache zu schicken, die eine Fallgrube der weiblichen Tugend ist?«
    »Seit länger als fünfzehn Jahren«, erklärte eine Schwester, »haben meine keuschen Blicke nicht mehr auf diesem Felleisen des Teufels geruht.«
    »Schweige, meine Tochter, du hinderst mich daran, ernstlich darüber nachzudenken, was hier zu tun ist.«
    Und so lange und so oft wurde nun der genannte erzbischöfliche Hosenlatz um und um gedreht, nach außen und nach innen, beschnüffelt und betüftelt und in Betrachtung bewundert, so viel wurde auch darüber beraten und deliberiert, so viel daran gedacht und davon geträumt, zuerst bei Tage und dann in der Nacht, bis endlich am andern Morgen nach der Mette, wobei die Schwestern einen Vers und zwei Responsorien ausgelassen, eine der jüngsten folgenden Einfall hatte:
    »Meine Schwestern«, sprach sie, »ich kann euch die Parabel des Erzbischofs deuten: er hat uns einfach seine Unaussprechlichen zum Ausbessern geschickt, weil er uns damit ermahnen wollte, den Müßiggang zu fliehen, als welcher der Anfang ist aller Laster.«
    Darauf begann ein wahrer Wettstreit, wer zuerst Hand ans Werk legen dürfe; aber die Äbtissin gebrauchte ihre Autorität und behauptete, das sei ihr Vorrecht und Privilegium. Und zusammen mit der Priorin war sie über acht Tage beschäftigt, das hochwürdige Kleidungsstück von Grund auf zu reparieren, neues seidenes Futter einzusetzen, einen doppelten Saum anzunähen, alles in tiefer Demut. Darauf wurde das Kapitel einberufen und beschlossen, dem Herrn Erzbischof für sein liebevolles Gedenken an seine Töchter in Gott ein Zeichen der Dankbarkeit zu übergeben. Alle Schwestern bis auf die jüngste Novize hinunter sollten zusammen eine hübsche und

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