Die Drenai-Saga 3 - Waylander
sechzig Kilometer weiter war Waylander nicht mehr weit vom südlichen Rand des Gebirgszuges entfernt. Hier war die Steppe zerklüftet, tiefe Schluchten durchkreuzten das Land wie von einem riesigen Messer geschnitten. In den Schluchten gab es zahlreiche Bäume und Flüsse, und hier und dort standen vereinzelt verlassene Hütten und Häuser. Wildschafe und Ziegen grasten auf den Hängen, und im Nordosten sah Waylander eine Herde Wildpferde, die neben einem Wasserfall graste.
Er trieb sein Pferd weiter und begann den Abstieg in einen schattigen Wald.
Hier war das Land gut, reicher als die trockene Steppe. Die schwere, schwarze Erde war so fruchtbar wie die der sentranischen Ebene. Trotzdem war das Land nicht bebaut. Kein Hafer, kein Weizen, keine Obstbäume, kein goldener Mais.
Denn die Nadir waren ein Nomadenvolk: Jäger, Krieger und Schlächter, die nichts bauten und sich wenig um ihre düstere Zukunft sorgten. ›Erobern oder sterben‹ war der am meisten verbreitete Spruch bei den Stämmen. Obwohl er eigentlich ›erobern
und
sterben‹ heißen sollte.
Was für eine Zukunft konnte es für ein Volk ohne Grundlagen geben?
Wo waren die Bücher, die Gedichte, die Architektur, die Philosophie? Die ganze Palette der Zivilisation?
Die Nadier waren dem Untergang geweiht – der künftige Staub der Geschichte, geknechtet durch Blut und Krieg, über die Oberfläche des Planeten streifend wie ein wütender Sturm.
Welchem Zweck dienten sie? fragte Waylander sich. Zerstreute Stämme voller Haß, die gegeneinander Krieg führten. Sie konnten niemals zu einem Volk zusammengeschweißt werden.
Das zumindest war ein kleiner Segen, denn es bedeutete, daß die Stämme den Völkern des Südens niemals Sorgen bereiten würden. Sie hatten genug mit sich selbst zu tun.
Waylander legte in einer Höhle auf der anderen Seite der Schlucht eine kurze Rast ein. Er nahm eine harte Bürste aus seiner Satteltasche und begann, das Fell seines Pferdes damit zu glätten, ehe er es tränkte. Er fachte ein kleines Feuer an und kochte aus dem getrockneten Fleisch eine Brühe, bevor er sich zwei Stunden Schlaf gönnte. Als er wieder im Sattel saß, begann er den langen Aufstieg aus der Schlucht. Er blickte sich häufig um, und jetzt sah er zum ersten Mal, seit er die Fähre verlassen hatte, einige seiner Verfolger. Als er den nördlichen Rand erreichte, betraten sie gerade die Schlucht von Süden her.
Es schienen etwa zwanzig Nadirreiter zu sein.
Waylander ritt weiter. Sie waren ungefähr vier Stunden hinter ihm, aber in der Nacht würde er diesen Abstand vergrößern.
Er fürchtete die Verfolger nicht, doch vor ihm ragte Raboas auf, der Heilige Riese, und hier war das Ende der Reise, wo Jäger und Gejagte sich begegnen würden.
Seine Gedanken wanderten zu Cadoras. Warum hatte der Meuchelmörder sein Leben weggeworfen, um einen Mann zu retten, den er kaum kannte, einen Mann, den zu töten er sich verpflichtet hatte? Was hatte einen eiskalten Mörder dazu bewogen, so zu handeln?
Dann kicherte er.
Was hatte Waylander dazu bewogen, Dardalion zu retten? Warum hatte er so hart gekämpft, um Danyal und die Kinder zu schützen? Warum ritt er jetzt für eine solche törichte und unmögliche Aufgabe in den sicheren Tod?
Danyals Gesicht erschien vor seinen Augen, um sofort den bärtigen, schweren Zügen von Durmast zu weichen. Er erinnerte sich wieder einmal an die Vision im Feuer, konnte sich aber nicht dazu durchringen, an sie zu glauben. Doch hatte Durmast nicht schon viele Frauen getötet? Und Kinder?
Das Pferd trottete weiter, und die Sonne sank hinter den westlichen Horizont. Die Nachtluft war frisch, so daß Waylander seinen Umhang aus der Satteltasche zog und ihn sich um die Schultern warf. Mit Einbruch der Dunkelheit wuchs seine Furcht vor den Wolfswesen. Wo waren sie jetzt?
Seine Augen huschten nach links und rechts, er drehte sich im Sattel um, um seine Fährte in dem rasch nachlassenden Licht zu prüfen. Er wog die Armbrust in der Hand, widerstand der Versuchung, sie zu laden. Eine längere Spannung der metallenen Arme würde die Waffe schwächen, und für diese Ungeheuer brauchte er ihre ganze Kraft.
Als die Wolken sich verzogen, erleuchtete der Mond mit seinem weißen Licht einen dicht bewaldeten Berghang. Waylander hatte keine Lust, im Dunkeln in den Wald zu gehen, aber die Bäume erstreckten sich weit nach Westen und Osten. Leise fluchend zog er an den Zügeln und ritt weiter.
Sobald er im Wald war, klopfte sein Herz heftiger,
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