Die Drenai-Saga 3 - Waylander
worden waren.
Gellan ließ die Fuhrwerke vor der exponierten vierten Mauer aufstellen, so daß sie eine Barriere gegen vagrische Angriffe darstellten. Der Regen prasselte hernieder, klatschte gegen die Steine der uralten Festungsmauer, so daß sie glänzten wie Marmor.
Blitze zuckten über den Nachthimmel, und Donner grollte im Osten, als Gellan sich seinen Umhang um die Schultern warf und nach Norden starrte. Sarvaj kletterte die knirschenden, verfaulenden Stufen zu den Wehrgängen hinauf und gesellte sich zu dem Offizier.
»Ich hoffe, du hast recht«, sagte er, doch Gellan antwortete nicht. Seine Verzweiflung war nahezu vollkommen.
Am ersten Tag war er überzeugt gewesen, daß die Vagrier sie fänden. Am zweiten hatten seine Befürchtungen noch zugenommen. Am dritten hatte er sich gestattet, etwas Hoffnung zu schöpfen, daß sie in einem Triumphzug Skultik erreichen würden.
Dann hatte der Regen eingesetzt, so daß die Wagen in einem Meer von Schlamm versanken. An diesem Punkt hätte er die Vorräte vernichten und eiligst in den Wald flüchten sollen – das wußte er jetzt. Aber er hatte zu lange gezögert, und nun hatten die Vagrier ihn eingekreist.
Es wäre Zeit gewesen für einen Ausfall – wie Jonat gesagt hatte –, aber zu diesem Zeitpunkt war Gellan schon von der Idee besessen gewesen, den Nachschub zu Egel zu bringen.
Er hatte gehofft, es mit weniger als zweihundert Vagriern zu tun zu haben, und die Fuhrwerke nach Westen, zu der verfallenen Festung in Masin gelenkt. Fünfzig Männer konnten die Festung vielleicht drei Tage lang gegen eine zweihundert Mann starke Truppe halten. In der Zwischenzeit hatte er drei Reiter nach Skultik geschickt mit der dringenden Bitte um Hilfe.
Aber Gellans Glück paßte sich seiner Verfassung an. Seine Späher berichteten, daß die gegnerische Truppe fünfhundert Mann stark war und abzusehen war, daß man sie beim ersten Angriff überrannte.
Die Späher waren zu Egel geschickt worden, und niemand in der Festung kannte die Stärke des Gegners. Gellan fühlte sich wie ein Verräter, weil er Sarvaj nicht informierte, aber der Kampfgeist war selbst im günstigsten Fall eine delikate Angelegenheit.
»Wir können aushalten«, sagte Gellan schließlich, »selbst wenn sie mehr Männer haben, als wir annehmen.«
»Die westliche Mauer ist morsch. Ein wütendes Kind könnte sie einschlagen«, entgegnete Sarvaj. »Die Fuhrwerke bilden keine nennenswerte Barriere.«
»Sie werden genügen müssen.«
»Du glaubst also zweihundert?«
»Vielleicht drei«, gestand Gellan.
»Hoffentlich nicht.«
»Denk an das Handbuch, Sarvaj – und ich zitiere: ›Gute Befestigungen können gegen eine feindliche Macht gehalten werden, die zehnmal so stark ist wie die verteidigende Truppe‹.«
»Ich will mich nicht mit einem Vorgesetzten streiten, aber heißt es im Handbuch nicht ›fünfmal‹?«
»Wir schlagen es nach, wenn wir in Skultik sind.«
»Jonat beschwert sich wieder. Aber die Männer sind froh, ein Dach über dem Kopf zu haben. Sie haben in der Inneren Festung ein Feuer entzündet. Warum gehst du nicht für eine Weile hinein.«
»Du machst dir allmählich Gedanken über meine alten Knochen, was?«
»Ich glaube, daß du dich ausruhen solltest. Morgen könnte es anstrengend werden.«
»Ja, da hast du recht. Sieh zu, daß die Wachen aufmerksam sind, Sarvaj.«
»Ich werde mein Bestes tun.«
Gellan ging zur Treppe, kehrte jedoch noch einmal um. »Es sind über fünfhundert Vagrier«, sagte er.
»Das hatte ich mir schon gedacht«, antwortete Sarvaj. »Schlaf jetzt etwas. Und paß auf dieser Treppe auf – ich sage jedesmal ein Gebet, wenn ich sie hochsteige!«
Gellan stieg behutsam die Stufen hinunter und ging über den kopfsteingepflasterten Hof hinüber in den Bergfried. Die Angeln der Tore waren durchgerostet, aber die Soldaten hatten die Türen festgekeilt. Gellan quetschte sich hindurch und ging zu der riesige Feuerstelle. Das Feuer tat wohl, und er wärmte sich die Hände über den Flammen. Als er eingetreten war, waren die Männer verstummt, jetzt trat einer von ihnen, Vanek, auf ihn zu.
»Wir haben ein Feuer für dich gemacht. Im Ostzimmer. Dort steht auch eine Pritsche, wenn du eine Mütze voll Schlaf nehmen möchtest.«
»Vielen Dank, Vanek. Jonat, kommst du einen Augenblick mit mir?«
Der hochgewachsene, knochige Jonat erhob sich und folgte dem Offizier. Sarvaj hatte sich mal wieder beschwert, vermutete er, und bereitete im Geiste seine Argumente vor. Sobald sie
Weitere Kostenlose Bücher