Die Drenai-Saga 5 - Im Reich des Wolfes
sah den Hund, Scar, der sich unter Schmerzen auf den Vorderpfoten vorwärtsschob. Die Hinterbeine waren schlaff und nutzlos. Ein Pfeil war ihm durch die Rippen gedrungen, Blut rann aus dem großen Maul. Waylander bewegte sich nach links, Morak nach rechts. Er hatte den sterbenden Hund nicht gesehen. Waylander sprang vor und sandte einen wilden Hieb auf Moraks Gesicht. Der Attentäter wich einen Schritt zurück – und Sears gewaltige Kiefer schlossen sich um seinen rechten Unterschenkel; die Reißzähne drangen durch Haut, Fleisch und Sehnen. Morak schrie auf vor Schmerz. Waylander trat vor, rammte dem Mörder seinen Säbel in den Bauch und stieß ihn hoch bis in die Lungen.
»Das ist für den alten Mann, den du gefoltert hast!« zischte Waylander. Mit einer Drehung zerrte er seine Klinge heraus, so daß dem Schwertkämpfer die Eingeweide heraushingen. »Und das ist für meinen Hund!«
Morak fiel auf die Knie. »Nein!« stöhnte er. Dann sank er seitwärts zu Boden.
Waylander warf sein Schwert weg und kniete neben dem Hund nieder. Er streichelte den großen Kopf. Er konnte nichts tun, um das Tier zu retten. Der Pfeil hatte sein Rückgrat durchbohrt. Aber er saß bei ihm, bettete den großen Kopf in seinen Schoß und sprach leise und beruhigend auf ihn ein, bis das stoßweise Atmen langsamer wurde und schließlich aufhörte.
Dann erhob er sich, suchte seine Armbrust und ging zu dem Wäldchen, in dem Morak sein Pferd versteckt hatte.
14
Die Mauer war grob zusammengefügt, jedoch mit einem Mörtel aus dem schwarzen Vulkanstaub der Berge verfugt. Sobald die Ritzen damit zugestopft und anschließend mit Wasser begossen wurden, wurde er hart wie Granit. Von Süden her stand der Feind einer dreieinhalb Meter hohen Mauer gegenüber, doch auf der Seite der Verteidiger befand sich ein Wehrgang, über den sie sich hinweglehnen und einen Pfeilhagel nach dem anderen auf die Angreifer abschießen konnten, um sich sofort danach zu ducken und so außer Sichtweite der feindlichen Bogenschützen zu kommen.
Bislang hatte die Mauer gehalten. An einigen Stellen hatten die Gothir Steine an ihren Fuß gerollt, um einen Aufstieg zu versuchen, und später hatten die ersten Reihen grob gezimmerte Leitern angeschleppt. Andere benutzten Taue mit eisernen Haken, um nach oben zu gelangen, doch die Verteidiger kämpften mit der Wildheit ihres Stammes und töteten alle, die den oberen Rand erreichten.
Einmal hatten die Gothir beinahe eine keilförmige Bresche geschlagen. Sechs Männer hatten sich ihren Weg auf die Brüstung erzwungen, doch Angel, Senta und Belash hatten sie angegriffen – und die Gothirkrieger waren in wenigen Sekunden gestorben. Wieder und wieder griffen die Gothir an, eine Welle nach der anderen, und versuchten, die Nadir durch ihre schiere Überzahl zu überwältigen. Es war ihnen nicht gelungen.
Noch nicht.
Aber jetzt hatte sich etwas geändert, und jeder Verteidiger spürte die ersten Anzeichen einer entsetzlichen Angst. Angel bemerkte es als erster – eine Kälte im Bauch. Seine Hände begannen zu zittern. Der Nadirkrieger neben ihm ließ sein Schwert fallen, und ein tiefes, klagendes Stöhnen entrang sich seinen Lippen. Angel warf einen Blick auf Senta. Der Schwertkämpfer lehnte an der Mauer und starrte über die Engstelle des Passes hinweg. Die Gothir waren zurückgewichen, doch statt sich neu zu formieren, hatten sie sich außer Sichtweite zurückgezogen. Zuerst hatten die fünfzig Nadirkrieger, die die grobe Mauer bemannten, gejubelt und gebrüllt. Doch jetzt hatte sich ein unbehagliches Schweigen über die Verteidiger gelegt.
Angel schauderte. Die schwarzen Berge ragten unheilvoll um ihn herum auf, und er hatte das Gefühl, er stünde im klaffenden Maul eines gewaltigen Ungeheuers. Das Zittern wurde schlimmer. Er versuchte, sein Schwert einzustecken, doch es klirrte gegen die Scheide. Er fluchte und lehnte die Klinge gegen die Mauer.
Drei Nadirkrieger machten kehrt und rannten den Paß hinauf, ließen ihre Waffen zurück. Belash brüllte ihnen hinterher. Die fliehenden Männer hielten inne und drehten sich um, mit einfältiger Miene. Doch die Angst wuchs.
Angel ging zu Senta hinüber. Seine Beine fühlten sich vollkommen kraftlos an, und er lehnte sich haltsuchend an die Mauer. »Was, zum Teufel, geht hier vor?« fragte er Senta. Der andere Mann – das Gesicht leichenblaß, die Augen weit aufgerissen – antwortete nicht. Am Eingang des Passes rührte sich etwas. Angel wandte den Kopf und sah eine Reihe
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