Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
kehrten wir heim nach Blankensee, wo sich Lysette von der übrigen Familie absonderte und die meiste Zeit in ihrem Zimmer verbrachte, mit zugezogenen Vorhängen, weil nun auch sie das Licht schmerzte. Sie aß nicht und trank nicht, und im Jahre 1940 sah sie aus, als wäre sie nicht erst sechzehn, sondern bereits Mitte zwanzig. Wie sie so dahinvegetierte, erinnerte sie mich ständig an das grausame Schicksal meiner Mutter Estelle, und ich zermarterte mir das Gehirn, wie ich ihr nur helfen konnte. Aber sie war zu keinem Kompromiss bereit, und so verlor ich allmählich jede Hoffnung, aus ihr eine lebensfähige, vitale Vampirin machen zu können.
Ihr Verhalten änderte sich erst, als Klara einen jungen Anarchisten aus Berlin mitbrachte und im Geheimen Gewölbe versteckte. Er hieß Robert und hatte eine selbst gebauteBombe in ein Gestapobüro geworfen, das durch die Explosion vollständig zerstört worden war. Fünf Geheimpolizisten hatten in dem Chaos den Tod gefunden.
»Das also findest du vertretbar«, hatte ich Lysette vorgehalten. Woraufhin sie aber nur geantwortet hatte: »Ja, das tue ich, denn er zieht keinen persönlichen Vorteil aus dieser Tat.«
Ihre Wandlung trat dann nach und nach ein, und als ich sie eines Abends im Mondlicht mit Robert auf dem Steg stehen sah und dann beobachtete, wie beide sich ihrer Kleidung entledigten und nackt in den See stiegen, da wusste ich, dass sie sich verliebt hatte. Von da an schien es, als würde sie ihr Schicksal nun geduldiger tragen, weil sie das Glück gespürt hatte, obwohl auf ihr der Fluch der Vampire lastete.
Und wirklich kam sie eines Abends zu mir in die Bibliothek und sprach mit mir über ihre Liebe zu Robert.
»Wir waren zusammen am See«, sagte sie, »es war Nacht und nur der Halbmond gab ein wenig Licht. Robert küsste mich, und ich fragte mich, ob ich ihn beißen sollte wie das kleine Mädchen. Ich war sehr durstig, du weißt, ich habe seit Wochen keine Nahrung zu mir genommen. Meine Gier nach Blut war gewaltig, und als seine Lippen die meinen berührten, da war mir, als würden die Zähne in meinem Kiefer wachsen und mich zwingen ihn zu beißen, damit ich ihn aussaugen konnte.«
»Aber du hast es nicht getan«, sagte ich. »Ich sah euch in den See steigen, um zu baden …«
Sie sah mich mit einem glücklichen Lächeln an. »Ja, du hast recht. Ich habe ihn nicht gebissen … Ich hatte die Kraft, es nicht zu tun. Ihn zu küssen und zu lieben, ohne ihm den Todeskuss zu geben. Warum? Warum konnte ichbei ihm meinen Trieb bezwingen und bei dem kleinen Mädchen nicht?«
»Weil du ihn liebst«, sagte ich schlicht und griff nach ihrer Hand. »Die Liebe ist unter allen Trieben der stärkste und so ordnet sich ihr alles unter. Auch du wirst mit der Zeit fähig sein, deinen Blutdurst zu lenken und niemanden zu gefährden, den du liebst oder achtest.«
Ich stand auf und holte die Chronik aus ihrem Versteck im Sekretär und reichte ihr das Buch.
»Lies es«, bat ich sie. »Lies und versteh. Du bist nun alt genug dazu.« Ich küsste sie auf die Wange und ließ sie allein, mit sich, ihrer Liebe und der dunklen Geschichte der Vanderborgs.
E
ines Abends Ende Februar des Jahres 1942 hielt eine schwarze Limousine vor dem Gut und ganz unverhofft stand Tante Gertrud mit Alfred vor der Tür. Sie war in Tränen aufgelöst und jammerte sofort los.
»Er jagt uns aus dem Haus! Ist das der Dank …?«
Ich bat sie, erst einmal abzulegen, und führte sie in den Salon, während ich nach Lysander rufen ließ, damit er sich um Alfred kümmerte. Dann orderte ich Tee für Gertrud und drängte sie, sich doch zu beruhigen.
»Beruhigen? Würdest du dich beruhigen, wenn man dich gerade aus deinem Haus geworfen hätte?«
Ich starrte sie perplex an. Wer war denn in der Lage, sie aus der Villa zu werfen?
»Sag nicht, Hansmann will sich scheiden lassen?«
Nun war sie es, die mich einen Moment fassungslos anstarrte, bevor sie pikiert meinte: »Hansmann? Scheidung? Wie kommst du auf einen solchen Gedanken?« Niemals würde er sich von mir scheiden lassen!«
»Aber wer sonst wirft euch aus dem Haus? Hat Hansmann Bankrott gemacht – muss er die Villa versteigern lassen?«
Gertrud schluchzte. »Nein, natürlich nicht, Hansmann ist ein guter Geschäftsmann, selbst die Verluste durch den Einbruch hat er wieder wettgemacht … nein … es ist viel schlimmer …«
Schlimmer als ein Bankrott? Dazu fiel mir nur eins ein, und das war in der Tat … mir stockte der Atem und ich hatte das
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