Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
bis zum See. Ich wollte nicht, dass er fortlief, denn ich verspürte das unbändige Verlangen, auch ihn endlich in seiner Wolfsgestalt zu zähmen. Aber er war kein Kind wie Lysander und darum nicht bereit, sich irgendjemandem unterzuordnen. Sein Freiheitsdrang war unersättlich, und so wehrte er sich mit einer Wildheit, die ihn immer wieder die Oberhand gewinnen ließ.
Mir brachen die Zähne aus dem Kiefer und ich verbiss mich in seinen Hals. Eine nie gekannte Kraft und Wildheit wuchs auch mir zu, und schließlich kämpften wir unter des Mondes bleicher Scheibe, die groß und traurig über dem See hing, bis auf das Blut, jeder um sein Überleben. Ich würgte ihn, bis ihm die Zunge blau aus dem riesigen Maul hing und er jaulend und knurrend versuchte, sich aus meinem eisern klammernden Griff zu befreien. Er schnappte röchelnd nach Atem und die blutig unterlaufenen Krallen seiner Klauen rissen mir die Haut in Fetzen vom Körper. Der Schmerz überzog mich wie Feuer und ich lockerte für wenige Sekunden meinen Griff. Sofort wand er sich aus meinen Händen, warf mich auf den Rücken und stand drohend und mordbereit über mir. Ich war verloren. Schnaubend senkte er sein Haupt und fletschte die Zähne, Speichel rann aus dem Fang und tropfte mir ins Gesicht …
Plötzlich sah ich, wie sich in Conrads Rücken ein Schatten vor den Mond schob und ihn mehr und mehr verdunkelte.
Eine Mondfinsternis … ich hatte einmal als Kind eine mit Großvater Vanderborg beobachtet, der mir die physikalischen Gesetzmäßigkeiten dieses Naturschauspiels erklärt hatte … und ich war davon sehr beeindruckt gewesen, obwohl ich es ein wenig unheimlich gefunden hatte.
Auch Conrad verspürte nun offenbar die Veränderung, die schlagartige mystische Aufladung der uns umgebenden Atmosphäre, denn er stand wie erstarrt mit offenem Fang, unfähig, den letzten, tödlichen Angriff auf mich auszuführen. Als der Mond ganz vom Kernschatten der Erde bedeckt war und nur noch in einem unwirklichen Licht rötlich leuchtete, da schien ihn alle Kraft zu verlassen und er brach über mir zusammen. Und noch ehe der Mond sich wieder aus dem Schatten herausbewegt hatte, nahm Conradunter großen Qualen seine menschliche Gestalt an. Alles Unheilvolle und Raubtierhafte fiel von ihm ab und er sah mich mit einer liebevollen Traurigkeit an.
»Amanda, verzeihst du mir? Liebst du mich noch?«, fragte er so leise, dass ich die geflüsterten Worte nur noch mit dem Herzen verstand.
Ich streichelte seine Wange und küsste ihn mit all meiner Zärtlichkeit.
»Du weißt doch, dass ich dir alles verzeihe, was Liebe verzeihen kann. Ich liebe dich bis in alle Ewigkeit und …«
Der Satz stockte mir auf den Lippen, denn als ich Conrad ansah, da brach sein Auge und er starb in meinen Armen.
Was niemand sonst geschafft hatte, das vollbrachte die Mondfinsternis. Sie entriss mir meinen Mann und Geliebten, und am Vorabend des Armageddons, des größten Krieges, den die Welt je gesehen hatte, stand ich alleine da mit der Verantwortung für die Familie und die Freunde.
Blankensee, am 3. März 1942.
Wieder muss ich einen Tod annoncieren. Mein geliebter Mann Conrad Lenz starb in der Nacht vom 2. auf den 3. März im Angesicht der Mondfinsternis in meinen Armen.
Sie machte dem Fluch ein Ende, unter dem er seit unserer unglücklichen Reise in die Karpaten gestanden hatte, als ihn ein Wolf aus einem mystischen Rudel biss und in einen Werwolf verwandelte.
Verflucht, in den hellen Nächten des Vollmonds in Ketten zu liegen, um seiner Umwelt keinen Schaden zuzufügen, gelang es ihm, sich in der Nacht vom 2. auf den 3. März zu befreien. Ich stellte ihn am See und wollte ihn zähmen und in das Schutzverlies im Geheimen Gewölbe zurückzwingen. Niemand wusste um die Gefahr der Mondfinsternis. So vollendete sich gänzlich unverhofft sein Schicksal. Mein Schmerz ist nicht benennbar und verteilt sich über meinen ganzen Körper, und es ist, als zerrinne mir das Leben zwischen den Händen zu einem Häuflein Asche.
Conrad ist erlöst, wir aber stehen am Beginn eines neuen, grausamen Zeitalters. Ein Krieg von ungeahnten Ausmaßen droht uns zu verschlingen, und es wird meine Aufgabe sein, meine Familie und die Freunde heil durch diese Zeit zu bringen und sie vor dem Blutrausch des großen Menschenfressers zu bewahren.
Ich habe Angst davor, aber ich weiß Vampire und Menschen an meiner Seite, die mit mir kämpfen werden. Wir sind vereint in unserer Trauer, aber auch in dem festen Willen zu
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