Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
jedenfalls«, sagte ich dennoch, um ihn ein wenig auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. »Und ohne Geld absolut unmöglich.«
»Ach, komm, Louisa!« meinte er jedoch nur, griff nach meiner Hand und zog mich zurück ins Treppenhaus, um zu erkunden, was für Räume uns der andere Flur erschließen würde.
Da sah es schon deutlich besser aus. Offensichtlich hatte hier früher die Gutsverwaltung ihre Büros. Die Räume schienen jedenfalls noch ihren ursprünglichen Grundriss zu haben und in einem war eine ganze Wand mit verglasten Bücherschränken zugebaut. Einige Scheiben in den Türen waren zwar zerbrochen, aber man konnte sich vorstellen, dass sie einmal eine schöne Bibliothek beherbergt hatten. Die Bibliothek der Vanderborgs? Nun standen allerdings nur noch ein paar vergilbte Ordner darin.
Marc zog einen heraus und blätterte ihn durch. »Lieferscheine, Abrechnungen, Saatgutbestellungen … offenbar alte Ablage der LPG. Uninteressant.«
Im nächsten Raum befanden sich ein zugemauerter Kamin und ein vergammeltes Sofa.
»In Verbindung mit der Bibliothek wäre das eine wunderbare Lounge«, meinte Marc. »Vermutlich war es früher der Salon.« Er drehte sich zu mir. »Weißt du, Loulu, dass du ein großartiges Schmuckstück erbst? Man müsste die Pläne haben. Gibt es denn in deiner Familie gar nichts mehr über das Gut? Baupläne oder wenigstens alte Fotos, nach denen man es wiederherstellen könnte …«
Ich zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, meine Mutter war, was die Vergangenheit anging, immer sehr schweigsam. Verschlossen wie eine Auster!«
»Du musst sie fragen, Louisa.«
Ich versprach es, meinte aber realistisch: »Also, falls ich es mir überlege und das Erbe antrete … also, das mal vorausgesetzt … dann sollten wir vielleicht zunächst versuchen, im Haupthaus ein paar Räume so herzurichten, dass wir im Sommer hier schon mal provisorisch wohnen können. Es wäre doch ein herrliches Feriendomizil für uns und ein paar Freunde. Und dann können wir weitere Pläne schmieden …«
Das war ein Vorschlag nach Marcs Geschmack. Er nahm mich in den Arm und gab mir spontan einen Kuss.
»Super, das machen wir, Isabell, Mandy und Stefan sind bestimmt dabei. Das wird großartig … Ich habe da übrigens einen Kumpel, Thomas, Bauingenieur, der sucht noch ein Thema für seine Examensaufgabe … Vielleicht kann der uns die Statik berechnen und …«
»Ja, ja«, sagte ich lachend, »so werden wir es machen!«
Als ich auf den Sozius des Motorrades stieg, warf ich noch einen Blick zurück zum Gutshaus. Mir war, als stünde jemand auf der Freitreppe. Ein Mann, und er winkte.
Ich muss zum Psychiater, dachte ich später vor dem Einschlafen in meinem Bett. Träume und Halluzinationen in diesem Ausmaß sind doch nicht normal. Ich muss auf diePsychoanalytikercouch! Frustriert stieg ich noch mal aus den Federn und schlich zu Isabell hinüber.
»Sag mal«, fragte ich sie, »hast du das auch schon mal gehabt, dass du ganz viel träumst oder Halluzinationen am hellen Tag hast? Ich glaube, ich drehe durch! Das ist doch nicht normal.«
»Examensstress«, meinte Isabell jedoch nur. »Da kramt das Unterbewusstsein allerlei Seelenschrott hervor und zerrt alles wieder ans Licht, was du jemals als Rolle gelernt hast. Fragmentarisch wird es dann völlig wirr zusammengepuzzelt und, batsch, glaubst du, es wäre was Neues, was ganz Einmaliges … Dabei ist alles nur deine eigene Erfahrung, real oder medial, völlig wurscht. Für das Gedächtnis ist alles eins und darum wird auch alles zusammengeworfen.«
Ich blickte sie erstaunt an. Woher hatte sie denn diese Weisheiten?
Isabell grinste. »Haben wir in der Hochschule drüber gesprochen. Psychologie steht bei uns auf dem Lehrplan.«
Das fand ich ja richtig gut und was sie dann noch sagte ebenfalls.
»Aus dem Käthchen von Heilbronn filtert dir dein Unterbewusstsein zum Beispiel den tollen Grafen Wetter vom Strahl heraus und gemixt mit deinen unerfüllten Liebesträumen wird daraus ein geheimnisvoller Lover. Das Gut ist dir wegen der merkwürdigen Reaktion deiner Mutter ein bisschen unheimlich und du besetzt es mit Schatten und düsteren Bildern aus der Antigone oder der Elektra .« Sie lachte. »Ist alles ganz simpel zu erklären. Denk einfach immer daran, dass es mit der Realität nichts zu tun hat … jedenfalls nicht in der Kombination, wie du es im Schlaf erlebst. Träume sind Schäume!«
Tja, das hatte ich bisher ja auch immer gedacht. Aber …In der WG war die
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