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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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Stimmung natürlich sofort für das Gut. Kein Wunder, so wie Marc es unseren Mitbewohnern verkauft hatte. Es redeten mir daher alle gut zu und ich gab der Kanzlei Graf & Hambach ein neues Mandat. Und die leistete diesmal wirklich ganze Arbeit.
    Ich bekam das Gut tatsächlich zugesprochen und trat das Erbe an. Die Anwaltskanzlei erreichte außerdem, dass mir die Gemeinde die Grundsteuer stundete, und für ihre Honorare ließ sie als Sicherheit eine Grundschuld ins Grundbuch eintragen.
    Wenn ich mein Examen gemacht hatte und einen Job fand, mit dem ich Geld verdiente, konnte ich die wieder ablösen. Tja, so war ich plötzlich Besitzerin eines richtigen Guts! Nur meiner Mutter musste ich das noch schonend beibringen.
     
    Sie reagierte ablehnender, als ich gedacht hatte.
    »Dass du mich so hintergehen konntest«, sagte sie regelrecht wütend und absolut unzugänglich. Nicht mal mit der Idee vom Wellnesshotel konnte ich sie versöhnlich stimmen. »Mach, was du willst«, beendete sie schließlich das von mir so hoffnungsvoll begonnene Gespräch, »aber mich lass bitte da raus. Ich möchte weder mit dem Gut noch dem Osten jemals wieder etwas zu tun haben.«
    Nun wollte ich aber doch genauer wissen, warum sie so übertrieben ablehnend reagierte. Das war doch nicht normal. Schon damals, als der erste Brief von der Anwaltskanzlei kam, hatte sie ja fast einen Herzanfall erlitten. Ich hatte ihr geglaubt, dass die Überlastung in ihrem Job die Ursache für den Zusammenbruch gewesen war, aber mittlerweile wirkte ihre Ablehnung von Gut Blankensee geradezu phobisch auf mich.
    »Was ist denn bloß auf dem Gut passiert«, fragte ich also, »dass du auf keinen Fall mehr daran erinnert werden willst? Meinst du nicht, du solltest es mir wenigstens jetzt sagen?«
    »Was macht das noch für einen Sinn?«, meinte sie resignierend. »Du hast ja nicht auf mich gehört. Wenn es nach mir gegangen wäre …«
    »Ja, ich weiß«, fiel ich ihr ins Wort, »aber nun gehört das Gut mir, und ich will wissen, warum du nicht mit mir und Marc zusammenarbeiten willst. Es wäre so schön … du und ich als Besitzer eines Wellnesshotels … Es, es sind doch bloß alte Erinnerungen … Kannst du die Vergangenheit nicht einfach ruhen lassen?«
    Nein, sie konnte es nicht, und als sie stockend begann, mir davon zu erzählen, verstand ich zwar nicht alles, aber ich begriff zumindest ansatzweise, dass es einen Horror gab, den selbst die Zeit nicht auslöschte, der sich einem in jede Körperzelle einbrannte und darum niemals vergessen werden konnte.
    Sie holte weit aus, redete atemlos und näherte sich dem, was damals vor 1961 auf dem Gut geschehen war, doch nur indirekt. Sie begann mit der plötzlichen Grenzöffnung, mit der Nacht meiner Zeugung …
     
    »Es war so ein Trubel plötzlich in Berlin. Wo kamen all die Menschen her?, dachte ich noch, als mir jemand Wildfremdes um den Hals fiel und jubelnd entgegenrief: ›Die Grenze ist offen!‹
    ›Wie, die Grenze ist offen?‹
    ›Die lassen alle raus aus der DDR. Reisefreiheit ab sofort!‹
    Sie schwappten herein wie eine riesige Welle. Ich sah es zuerst im Fernsehen, fasste es nicht und wollte dann selbst dabei sein. Obwohl ich keine guten Erinnerungen an die DDR hatte. Aufder Flucht hatte ich meinen Vater verloren … und mir beim Sprung aus dem ersten Stock eines Hauses in der Bernauer Straße einen komplizierten Splitterbruch des Fußgelenkes zugezogen. Mein Leben lang habe ich darunter gelitten, seitdem einen Hinkefuß zu haben … Das war eine teuer erkaufte Freiheit damals … Jetzt hingegen schien alles ganz leicht zu gehen. Da fuhren sie sogar mit ihren Trabbis zu uns nach Westberlin herüber … Ich konnte den Gesinnungswandel nicht verstehen … Mussten nicht unjüngst noch Republikflüchtlinge aus der Botschaft der BRD in Prag befreit und mit einem Zug durch das Staatsgebiet der DDR geschleust werden?
    Egal! Ich ließ mich anstecken, ja, ich gestehe es, ich ließ mich von der Stimmung, die ganz Berlin erfasst hatte, mitreißen. Ich stellte mich mit an den nächsten Grenzübergang und winkte den Landsleuten aus dem benachbarten Deutschland zu … winkte ein Willkommen, das unter Hupkonzerten mit lautstarkem Jubel beantwortet wurde. Eine Gruppe junger Leute zog mich einfach mit. Irgendwie lag jeder jedem an diesem Abend, in dieser Nacht in den Armen. Ich ging selten aus, schon gar nicht in Lokale, diesmal lief ich einfach mit, landete unter lachenden, feiernden Menschen an einem Tisch, trank Bier und

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