Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
die ganze Szene, ohne dass ich das Geheimnis hinter dem Schleier gelüftet hatte.
Am nächsten Morgen spülte ich mir unter der Dusche die irritierenden Traumreste fort, und als ich meine langendunklen Haare föhnte, lächelte ich mir aufmunternd zu. In meinem nicht eben kleinen Mund steckte noch die Zahnbürste, mit der ich soeben kräftig Schaum erzeugt hatte.
Träume sind Schäume, dachte ich also und spülte den Mund sorgfältig aus. Dabei beschloss ich, lieber Nägel mit Köpfen zu machen. Gleich nach dem Frühstück rief ich in der Anwaltskanzlei an und sprach mit einem sympathisch klingenden Herrn Graf.
Als ich ihm die Bedenken meiner Mutter schilderte, lachte er leise.
»Diese Argumente bekommen wir immer wieder zu hören«, sagte er. »Aber wenn wir dann erfolgreich tätig geworden sind, sind die Erben meistens doch bereit, die Immobilie zu übernehmen. Immerhin sind es enorme Werte, selbst wenn zunächst ein gewisser Renovierungsaufwand vonnöten ist. Aber da gibt es ja zum Beispiel die Möglichkeit, den Grundbesitz zu beleihen …«
»Aber meine Mutter würde nie einen Kredit aufnehmen«, wendete ich ein. »Sie würde bestimmt fürchten, ihn nie mehr zurückzahlen zu können.«
»Sie sind die einzige Tochter?«, fragte der Anwalt. »Keine weiteren Familienmitglieder?«
»Nein, äh … mein Erzeuger ist … äh … unbekannt.«
Herr Graf räusperte sich, ging aber routiniert darüber hinweg: »Wie ist Ihre Einstellung zu dem Gut? Würden Sie es zurückhaben wollen?«
»Also ich finde es großartig, ein Gut zu besitzen …«, rutschte es mir spontan heraus und ich biss mir sogleich auf die Zunge. »Ich … äh … meine nur, man sollte es vielleicht erst einmal ansehen, bevor man es gänzlich ablehnt.«
Herr Graf lachte und es klang angenehm. »Sie wissen,dass Sie die nächste Erbin wären, wenn Ihre Frau Mutter das Erbe ausschlägt?«
Nun war ich verblüfft. »Ne… nein, das habe ich nicht gewusst.« Aber es war ja eigentlich klar. Ich war die letzte in Deutschland lebende Verwandte der Familie Vanderborg und kam natürlich in der Erbfolge gleich nach meiner Mutter.
»Sie sind doch volljährig?«, fragte der Anwalt.
»Ja, bin ich.«
»Und was machen Sie beruflich?«
Diese Frage war mir nun etwas peinlich. »Ich … ich studiere. In Berlin, an der Schauspielschule.«
Herr Graf lachte erneut. »Dann leben Sie ja nicht weit von Blankensee entfernt und wir könnten uns das Gut einmal gemeinsam ansehen.« Er machte eine Kunstpause. »Sollen wir uns denn in Ihrem Auftrag um die Sache kümmern?«
»Aber das kostet doch sicher etwas«, blieb ich zurückhaltend.
»Über Geld reden wir, wenn wir Erfolg gehabt haben. Was halten Sie davon?«
Ich schluckte. Das war jetzt aber plötzlich ein bisschen viel Verantwortung für mich. »Aber meine Mutter hat doch noch gar nicht abgelehnt.«
Der Mensch ließ sich nicht abwimmeln. »Richtig, das wollte ich noch ansprechen. Sie müssten Ihre Frau Mutter bitten, das Erbe schriftlich abzulehnen. Das kann gerne formlos in einem kurzen Brief geschehen, den sie aber bitte eigenhändig unterzeichnen sollte. Zugleich könnten Sie uns den Auftrag erteilen, für Sie als Nacherbin Ihrer Mutter in der Sache tätig zu werden. Das heißt noch nicht, dass Sie das Erbe annehmen, sondern nur, dass wir prüfenkönnen, ob Sie tatsächlich Ansprüche haben und das Gut gegebenenfalls an Sie zurückgeführt werden kann.«
»Und das wollen Sie wirklich machen? Ohne Vorschuss und so …?«
Wieder das sonore, aber ungemein sympathische Lachen. »Ja, genau das möchte ich machen … völlig unverbindlich.«
Ich glaubte ihm nicht wirklich, aber meine irrationale Begierde, Gutsbesitzerin zu werden, war so stark, dass ich mich hinreißen ließ und zustimmte.
»Ich schicke Ihnen die Unterlagen, so schnell es geht«, versicherte ich und legte mit zitternden Händen den Hörer auf.
Musste ich meiner Mutter eigentlich sagen, was für einen Deal ich gemacht hatte? Ich schüttelte den Kopf. Nein, warum? Es würde sie nur verärgern und Ärger war Gift für sie, davon hatte sie schon genug im Hotel. Erst einmal abwarten, ob mir das Gut überhaupt zugesprochen werden würde. Schließlich wurde nicht alles, was enteignet worden war, auch wirklich seinen ehemaligen Besitzern wieder zurückgegeben. Da gab es Stichdaten zu berücksichtigen und neue Besitzverhältnisse zu respektieren … Vielleicht machte ich mir ganz umsonst einen Kopf deswegen.
Also berichtete ich meiner Mutter nur das
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