Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
zu profan. »Und du meinst nicht, dass das Stück vielleicht nur der Auslöser war? Dass nicht doch irgendwo dieser tolle Mann auf mich warten könnte? Wir sozusagen wie bei Kleist durch unsere Träume in einem imaginären Raum miteinander verbunden sind?«
Isabell schüttelte vehement den Kopf. »Träum weiter, Süße!«, sagte sie und scheuchte mich zurück in die Küche unserer WG, wo sich mal wieder der Abwasch stapelte.
I
ch war inzwischen im Examenssemester und in der hoch angesehenen Abschlussklasse von Professor Knuppers, als ich an einem Frühlingsabend verschwitzt aus der Übung kam. Ich war an der Schauspielschule beim ersten Mal durch die Abschlussprüfung gefallen und hoffte nun, dass es diesmal klappen würde. Es fiel fast jeder im ersten Anlauf durch, das gehörte wohl zum Standard der Hochschule, aber nach zweimal Durchfallenwar Schluss. Die schmissen einen gnadenlos raus und das ganze Studium war für die Katz. Wenn ich dann noch jemals ein Theater von innen sehen wollte, musste ich mich als Platzanweiserin oder Klofrau dort verdingen. Bloß nicht!
Nach einer erfrischenden Dusche setzte ich mich mit einer Cola light in die Küche der WG.
Außer mit meiner Kommilitonin Isabell, die ebenfalls Schauspiel studierte, allerdings an der Filmhochschule, teilte ich die Kreuzberger Altbauwohnung mit Mandy, einer angehenden Modedesignerin, und Stefan, einem Lehramtsstudenten mit den Fächern Deutsch und Geschichte. Stefan meinte, Lehramt sei eine sichere Kiste und mit den Kindern würde er schon klarkommen. Das nahm ich auch an, denn er war ein sehr angenehmer und ausgleichender Mensch. Wobei es natürlich auch sein konnte, dass die Kids ihm wegen seiner Gutmütigkeit bald auf der Nase herumtanzen würden.
Ein Zimmer stand zurzeit leer und wir suchten nach einem neuen Mitbewohner. Männlich sollte er sein, attraktiv und Single, denn Isabell und Mandy waren der Meinung, dass ich allmählich mal einen Mann für eine feste Beziehung brauchte, und Stefan wollte als einziger Mann in der WG unbedingt Verstärkung.
»Bitte, bloß nicht noch eine Zicke«, hatte er gefleht.
Das erste Casting hatten wir bereits hinter uns, und sogar schon einen Typ in der engeren Auswahl. Er hieß Marc, war wissenschaftlicher Assistent auf halber Stelle an der TU, wo er Architektur studiert hatte, und schrieb dort nun seine Dissertation, weil es mit Stellen für Architekten im schwächelnden Baugewerbe zurzeit recht mau aussah. Ich glaubte zwar nicht, dass ihm unsere bescheidene WGreichen würde, aber Versuch macht klug. Wir hatten ihn jedenfalls für den Abend zu einem Recall eingeladen.
Ich nahm die Post vom Tisch, die Isabell dort für mich hingelegt hatte. Was konnte es schon sein? Rechnungen, nichts als Rechnungen vermutlich, und Werbung. Na klar, Telekom, GEZ, Kontoauszüge und …
Ich stutzte. Graf & Hambach? Mit fliegenden Fingern riss ich den Brief auf. Von denen hatte ich ja ewig nichts mehr gehört!
Die letzte Nachricht war wenig ermutigend gewesen, denn darin hatte mir Herr Dr. Hambach mitgeteilt, dass leider die Enteignung von Gut Blankensee unter eine Ausschlussfrist fallen würde, sodass meine Ansprüche vermutlich erloschen seien …
Heute schrieb derselbe Dr. Hambach, dass »vor dem Bundesverfassungsgericht anhängige Einsprüche zu einer Revision dieser Praxis geführt« hätten, die mir nun doch noch gestattete, Ansprüche geltend zu machen. Ob ich das Mandat erneuern wolle?
Ich war merkwürdig nervös geworden. Eigentlich hatte ich mit der Sache abgeschlossen. Dennoch fand ich den Gedanken, nun möglicherweise doch noch in den Besitz des Gutes zu kommen, sofort wieder faszinierend. Wenn ich mein Examen bestand und eine Anstellung an einem Theater bekäme, wenigstens für eine Spielzeit zunächst, dann würde ich vielleicht sogar die Grundsteuer bezahlen können. Und wer weiß …
Dennoch wollte die Sache gut bedacht sein. Ich ging also in mein Zimmer und verstaute den Brief erst einmal im Schreibtisch. Nur nichts überstürzen! Jetzt waren zunächst andere Dinge wichtiger … zum Beispiel der neue Mitbewohner.
Wir warteten alle sehr gespannt auf das zweite Treffen mit Marc und er tat mir fast ein wenig leid, als wir ihm so geballt unsere Fragen an den Kopf warfen. Wir hockten um den Küchentisch in unserer Wohnküche und tranken Tee, den Marc aber kaum anrührte.
Er hatte dichte straßenköterblonde Haare, die er mit einer James-Dean-Tolle und ansonsten kurz geschnitten trug. Das war zurzeit
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