Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
der Überrüstung und technischen Dominanz verkraften es selbst Berufssoldaten kaum noch, jemanden wirklich zu töten und körperlich in Gefahr zu sein. Du möchtest überall sein, wenn es soweit ist, nur nicht da, wo du gerade bist.«
    »Zum Beispiel im Rheinpark«, lächelte Vera.
    Er sah sie überrascht an. Dann nickte er.
    »Am ersten Tag der Offensive sind wir in eine kuwaitische Kleinstadt eingerollt. Ein Bild des Grauens. Als wir in kleinen Trupps ausschwärmten, um Widerstandsnester auszuheben, nahmen uns irakische Panzerverbände unter Beschuß. Die Amerikaner in ihren Abrahams feuerten zurück.«
    »Abrahams?«
    »Panzer. Unglaubliche Maschinen. In allem überlegen. Sie schossen die Iraker in Grund und Boden, während wir zwischen den wild manövrierenden Tanks eingekesselt waren. Und ich dachte, jetzt haben sie dich. Sie haben dich in der Zange. Das warʹs. Ich hatte keinerlei Zweifel daran, daß ich sterben mußte, und es war die grauenhafteste Empfindung meines Lebens.« Er machte eine Pause.
    »Aber ich bin nicht gestorben. Binnen Minuten war alles vorbei. Wir rannten raus aus unserer Deckung und sahen, daß wir gewonnen hatten. Panzer kann man wie Nüsse knacken. Es brannte und qualmte. Ich glaube, ich bin auf die Knie gefallen und habe zum Himmel gebetet, daß das aufhören soll, für alle Zeiten aufhören, aber über den Himmel erstreckte sich eine dreihundert Kilometer lange schwarze Wolke aus verbranntem Öl, und Gott konnte uns wahrscheinlich gerade nicht sehen. Es hörte nicht auf.«
    Die Kellnerin brachte den Krimsekt. Vera nahm ihr Glas und stieß es leicht gegen seines.
    »Manchmal hört es erst auf, wenn man den Feind an Grausamkeit noch überbietet« sagte sie leise.
    Er musterte sie.
    »Sprechen Sie aus Erfahrung?«
    »Ihre Geheimnisse.« Sie erwiderte seinen Blick und kam sich plötzlich dumm vor. »Tut mir leid. Ich habe kein Recht, Sie auszufragen.«
    »Das ist schon okay. Es gab einen zweiten Grund, warum ich plötzlich das Gefühl hatte, aufhören zu müssen. Es war die Frage nach dem Sinn.«
    »Der Sinn war das Geld, denke ich.«
    »Ich meine etwas anderes. Die persönliche Bedeutung. Natürlich haben wir uns gut bezahlen lassen, aber wofür? Die Hälfte unserer Einsätze scheiterte.«
    »Warum?«
    »Ich weiß es nicht. Während die Herren der Lüfte in Glanz und Gloria das dritte Jahrtausend der Kriegsführung einleiteten, herrschte am Boden Konfusion und Desinformation. Man hat den Golfkrieg auch den Krieg der Mathematiker genannt. Da ist was dran. Von Lageanalysen oder Feindpsychologie keine Spur. Hatte Schwarzkopf nicht gewußt, daß viel weniger Iraker in der Wüste eingegraben waren, als von Saddam behauptet? Daß es den gefürchteten Saddam‐Wall mit seinen Minengürteln und schwerbewaffneten Verbänden gar nicht gab ? Daß die irakischen Soldaten nach wochenlangem Bombardement in ihren Sandbunkern demoralisiert und kaum noch kampffähig waren?«
    »Woher hätte er das wissen sollen?«
    »Weil unsere Späher schon Wochen vorher dazu geraten hatten, die Bodenoffensive vorzuziehen, solange es in Kuwait noch jemanden zu befreien gab. Viele haben sich dafür ausgesprochen. Aber die Amerikaner wollten davon nichts hören. Sie hatten Angst vor jeder kleinen Abweichung. Sie wollten nicht schon wieder eine Eigendynamik wie in Vietnam. Was sie wollten, war die Absolution von Vietnam, also warteten sie. Aus Kuwait kamen Schreckensmeldungen über Hinrichtungen, Folterungen und Plünderungen. Saddam drohte mit einem ökologischen Desaster. Immer noch weigerten sich die Streitkräfte, die Bodenschlacht vorzuziehen, obwohl mittlerweile jeder Mensch auf der Welt, der ein Fernsehgerät besaß, wußte, daß die Iraker zu Tausenden kapitulierten.«
    »Vielleicht konnten die Alliierten den Wüstensturm nicht vorziehen. Vielleicht waren sie gar nicht darauf eingerichtet.«
    Bathge schwieg und blickte in sein Glas.
    »Sie haben Saddam falsch eingeschätzt. Seine militärische Kraft wurde überschätzt, seine Bereitschaft zum Terror unterschätzt. Als der Wüstensturm begann, war im Grunde alles schon gelaufen.
    Über sechshundert Ölquellen brannten, das Land war zerstört. Zudem hatten sich über Nacht die Kriegsziele unmerklich verschoben.
    Ursprünglich hatte Schwarzkopf damit geprahlt, man werde die komplette irakische Armee einkesseln und vollkommen vernichten.
    Jetzt schien es plötzlich, als habe man ihr bewußt Fluchtschneisen eröffnet. Warum? Um diese Armee zu erhalten? Aus welchen

Weitere Kostenlose Bücher