Die dunkle Seite
Sie nicht ein.«
»Ist kein Problem.«
»Doch.«
»Was, doch?«
»Es interessiert mich. Wirklich.«
Bathge sah sie prüfend an.
»Na schön, ein simples Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie müssen in den Dschungel. Nie zuvor drin gewesen. Man sagt Ihnen nicht, was Sie erwartet, außer daß es gefährlich ist. Was werden Sie tun?«
Vera dachte einen Augenblick nach.
»Ich versuche mich auf alles einzustellen, was gefährlich werden könnte.«
»Und was ist das?«
»Wieso? Ich denke, das soll ich nicht wissen.«
»Nein, anders: Was glauben Sie selber, was Ihnen gefährlich werden könnte?«
»Hm. Alles. Wenn ichʹs nicht besser weiß, ist alles gefährlich.«
Bathge lächelte. Er drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und klappte die Speisekarte zu.
»Sehen Sie, genau darum sind einige Kämpfer erfolgreicher als andere«, sagte er. »Weil sie einfach voraussetzen, daß es eine Gefahr an sich gibt. Nicht die vielen Schlangen in dem Urwald sind gefährlich, nicht die gegnerischen Scharfschützen, nicht die giftigen Spinnen, nicht die Sümpfe. Der ganze Wald ist gefährlich. Nicht die Wüste ist gefährlich, sondern der Zeitraum, in dem man sie durchquert. Als gefährlich gelten Länge mal Breite mal Höhe mal die Stunden, die man in diesem Kontinuum verbringt. Also schlichtweg alles. ZERO verfügte über ein hervorragendes Informationsnetz.
Das war auch gut so, weil wir als Späher und Saboteure früher hinter die feindlichen Linien vordrangen als andere. Über manches ließ man uns allerdings bewußt im unklaren. Das mußten wir selber rausfinden. Ob Sie es glauben oder nicht, es half uns, zu überleben.«
»Wir sollten allmählich mal was bestellen«, schlug Vera vor. »Das hilft uns auch, zu überleben.«
»Ich wußte, daß es Sie nicht interessiert.«
»Doch, verdammt noch mal! Ich hab nur Hunger. Was soll ich ohne Verpflegung in der Wüste?«
»Einverstanden.« Bathge lachte leise. »Wie ist der Borschtsch hier nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts?«
»Immer noch dunkelrot.«
Sie winkten eine Bedienung heran. Vera bestellte Salat und Wasser. Mit dem täglichen Sport hatte sich das Verlangen nach Alkohol gegeben. Bathge bestellte seinen Borschtsch und Krimsekt.
»Vietnam ist für die amerikanischen Soldaten unter anderem darum zum Desaster geworden, weil ihre Vorgesetzten ernsthaft versucht haben, ihnen den Dschungel zu erklären«, sagte er. »Sie haben gesagt, hütet euch vor den Schlangen, und die armen Kerle sind durchs Gestrüpp gekrochen und haben sich so sehr auf die Schlangen konzentriert, daß der vietnamesische Scharfschütze im Baum über ihnen nur noch abzudrücken brauchte, als seiʹs ein Scheibenschießen. Jeder, der zurückkehrte, wußte was anderes zu erzählen.
Mal waren es die Tiger, dann die Heckenschützen, dann die Fallen, dann die Minen. Namentlich die Ameisen, die Spinnen, die Sümpfe.
Die Schlingpflanzen, die Klettergewächse, die giftigen Farne. Die Blutegel, die Mücken und Libellen, das Wasser, die Bakterien, die Einzeller. Auf alles mußten sich die armen Schweine einstellen. Genau das war der Fehler. Man kommt durch keinen Dschungel, wenn man ständig von Horrorvisionen geplagt wird. Fouk sagte, denkt einfach, alles da draußen will euch töten. Was, spielt erst mal keine Rolle. Geht mit offenen Augen, Ihr werdet es schon erkennen.«
»Schön und gut. Wenn Sie dem GI nicht sagen, daß die Schlangen giftig sind, wird er aber gebissen werden.«
»Er wird davon ausgehen, daß alle Schlangen giftig sind und ihnen einfach aus dem Weg gehen. Wenn Sie ihm hingegen sagen, die schwarzen sind giftig und die grünen nicht, dann wird er gebissen, und zwar von den roten.«
»Welche Sorte hat Sie gebissen?«
Bathge lächelte. »Einige.«
Interessiert es dich wirklich, dachte sie? Warum, verdammt? Du sollst Marmann finden. Erzähl ihm endlich von Solwegyn, das ist wichtiger.
Bleib auf Distanz.
»Was haben Sie und Marmann bei ZERO überhaupt gemacht?«
»Wir haben chirurgische Eingriffe vorgenommen«, sagte Bathge und paffte. »Sehen Sie, die Atombombe ist gebaut worden, um das größtmögliche Zerstörungspotential freizusetzen. Ob sie einen Kilometer nach links oder rechts fällt, spielt keine Rolle, und es sterben Millionen Zivilisten. Die Stealth Fighter hingegen, die Bagdad bombardierten, plazieren das genauestmögliche Zerstörungspotential.
Heute bekommen Sie es auf dem Schlachtfeld mit fliegenden Computern zu tun. Als das irakische Nachrichtenzentrum
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