Die dunkle Seite
dubiosen Gründen gestand man Saddam seine Herrschaft weiter zu, anstatt ihn in den Arsch zu treten? Wofür kämpfte man hier überhaupt? Um eine Familie kuwaitischer Despoten wieder auf den Thron zu bringen? Denen gingʹs doch nur um den persönlichen Machterhalt und Geld. Um Ölquellen zu retten? Zu spät, die brannten. Um Saddam fertigzumachen? Der lebte, weil man ihn leben ließ. Ein Islam ohne Saddam, die hätten sich ja plötzlich einigen können. Sterben für Kuwait? Wozu? Was wäre das für ein schäbiges Opfer gewesen?«
Seine Distanziertheit war dahin. Schon im Rheinpark hatte er für Sekunden die Maske des Berichterstatters fallengelassen. Vera fragte sich, ob sie einander nicht ähnlich waren. Jeder versuchte, das Vergangene abzuschließen. Bathge redete, sie lauschte in sich hinein.
War das immer so gewesen?
Vera neben Karl im offenen Wagen, mit fliegenden Haaren, lachend und erzählend ...
Wann hatte sie aufgehört zu reden?
Plötzlich wurde ihr bewußt, daß sie Bathge unverwandt anstarrte, obwohl er schon längere Zeit nichts mehr gesagt hatte. Das Blut schoß ihr in die Wangen. Er lächelte und hielt eine Flamme an die nächste Zigarette.
»Sie wollten meine Gründe hören. Ein kluger Mensch hat gesagt, die Grenzen des Wahren sind nicht das Falsche, sondern das Sinnlose. Als ich das Ergebnis des irakischen Terrors sah, wußte ich, daß wir versagt hatten. Ich fragte mich, was ich mit meinem Geld tun sollte, nachdem die Sonne ausgelöscht war. Verstehen Sie? Nichts machte mehr Sinn, die Invasion nicht, die Befreiung nicht. Es gab keinen Grund, weiterzumachen.«
Das Essen wurde ihnen eilig hingeknallt. Der Laden war voll.
Bathge schien für die Unterbrechung dankbar zu sein. Er lobte den Borschtsch und führte sie über ein paar rhetorische Umwege weitab vom Thema. Offenbar verspürte er keine Lust mehr, über die Vergangenheit zu reden. Vera hätte gerne gewußt, was er in den Jahren nach dem Krieg gemacht hatte, aber sie fragte nicht. Sein Vortrag hatte geendet wie eine Symphonie. Dicht, bewegt, endgültig.
Sie haßte die Wortlosigkeit, wenn die Konversation abriß. Jeder marode Motor war leichter wieder in Gang zu bringen, als minutenlang Pausen zuzuquatschen, bis es wieder interessant wurde.
Was sollte folgen, was nicht zu persönlich wurde?
Mit einemmal begann sie sich unbehaglich zu fühlen und wünschte sich, der Abend möge sie gnädig in ihr Kerzenreich entlassen und in ihre Badewanne. Besser, er sagte überhaupt nichts mehr.
Dann fiel ihr etwas ein.
»Um noch mal auf Marmann zu kommen.« – Das sichere Terrain des Klientengesprächs. »Können Sie sich unter Umständen vorstellen, daß Sie sich einfach ... irren?«
»Irren?« echote Bathge verdutzt.
»Ja.« Vera schob den halbgegessenen Salat von sich weg. »Daß er Üsker gar nicht umgebracht hat. Daß er auch Ihnen nichts tun wird.
Daß Sie einfach auf der falschen Fährte sind.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Solwegyn kam darauf. Er war beunruhigt. Natürlich hatte er von Üskers Tod gelesen und war zu der gleichen Schlußfolgerung gelangt wie Sie. Ein Profi, der seine Erfahrungen nicht auf dem Spielplatz gesammelt hat.«
»Sie hätten ihm nicht sagen dürfen, warum ich Marmann suche.«
»Habe ich nicht. Ich sage ja, er kam von selber drauf. Aber ich habe ihn gefragt, was Marmann für ein Mensch war. Ich habe auch Nicole gefragt.«
»Und?«
»Tja. Das ist komisch. Keiner traut ihm eine solche Schweinerei zu. Sie sprechen ihn beide nicht gerade heilig, aber ein Mörder ...«
Bathge schüttelte den Kopf und blies in seine Suppe.
»Ich hätte ihm das ebensowenig zugetraut. Aber ich habe auch gesehen, was aus ihm geworden war, nachdem er monatelang nur in der Wüste herumgesessen und auf seinen ersten Einsatz gewartet hatte. Eine Situation wie am Golf verändert das ganze Denken.«
»Gut, aber haben Sie ihn jemals solche Dinge tun sehen?«
»Zimperlich war er nicht. Nein, aber er wußte über Foltermethoden Bescheid.«
Vera ließ einen Augenblick verstreichen, dann sagte sie:
»Haben Sie Jens Lubold solche Dinge tun sehen?«
Bathges Miene vereiste. Er ließ den Löffel sinken.
»Wie um Himmels willen kommen Sie auf Lubold?«
»Ich habe mich ein bißchen schlau gemacht. Bathge, Marmann, Üsker, Lubold und Solwegyn. Das war doch wohl die Konstellation von fünfundachtzig.«
Bathge verzog anerkennend die Mundwinkel.
»Natürlich haben Sie mir auch von Lubold mal wieder nichts erzählt«, sagte sie
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