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Die dunkle Treppe

Die dunkle Treppe

Titel: Die dunkle Treppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Fitzgerald
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geschnittenen Hemd, das selbst nach dem Tanzen und Rummachen überhaupt nicht zerknittert war. Erst rutschte ich ein Stück näher an ihn heran, und dann legte ich mich neben ihn. Aber ich konnte nicht einschlafen. Ich war überwältigt von dem Gefühl, einen Mann zu berühren, der die perfekte Anzahl von Schönheitsfehlern hatte: einen leichten Bauchansatz, ein großes, braunes Muttermal am Hals, weiche Haare auf den Armen. Ich schaute ihn mir ganz genau an, berührte seine Schulter, seine Hand. Als er aufwachte, spürte ich am ganzen Körper ein Kribbeln. Der Speisesaal war, wenn man mal von den leeren Flaschen und ausgedrückten Kippen absah, völlig leer. Er lächelte mich an: »Du solltest dich beeilen, wenn du James noch erwischen willst.«
    »Und was ist mit den Bagels?«
    »Ich hol dir später eins.«
    James war der Neuseeländer mit der Reinigungsfirma. Sein weißer Lieferwagen fuhr jeden Morgen um halb neun vors Haus. Er frühstückte gratis im Untergeschoss des Hostels, und dann trommelte er so viele Arbeiter zusammen, wie er für den jeweiligen Tag gebrauchen konnte. Als ich nach einer Katzenwäsche zurück in den Frühstücksbereich kam (sehr verkatert und schmuddelig), ging er gerade zur Tür hinaus.
    »Sie brauchen wohl nicht noch eine Arbeitskraft?«, fragte ich.
    Er zählte die verkaterte Bagage durch, die an seinem Lieferwagen wartete und sagte: »Nein, eigentlich nicht. Ich habe genug Leute.«
    Ich packte ihn am Arm, ehe er gehen konnte: »Ach, bitte. Ich bin völlig pleite.«
    ***
    Als ich später die Wände einer Großbäckerei schrubbte, rief ich mir jeden einzelnen Augenblick der letzten Nacht ins Gedächtnis. Es war die beste Nacht meines Lebens gewesen. Ich dachte daran, wie Francesco und ich zum ersten Mal miteinander getanzt hatten: Er hatte mir die Hände auf die Schultern gelegt und mich näher zu sich herangezogen. Ich erinnerte mich daran, wie ich mit ihm auf dem Sofa gelegen und ihm beim Schlafen zugesehen hatte. Verträumt lächelnd wischte ich in aller Seelenruhe Mäusedreck weg, obwohl James mir schon gesagt hatte, dass ich mal einen Zahn zulegen solle. Ich seufzte sehnsüchtig, als ich das verdreckte Geschirr unter dem Tresen einsammelte, und ich bemerkte kaum, dass ich auf dem Weg in die Backstube zwei Teller fallen ließ. Als ich mit einem leeren Müllbeutel vor den Abfallbehältern stand, schloss ich die Augen und stellte mir Francescos Gesicht vor.
    »Das war’s!«
    »Was?«
    James hatte mich seit geraumer Zeit beobachtet. Anscheinend hatte ich schon länger mit verträumt geschlossenen Augen dagestanden. Seine Anweisung, die Tellerscherben einzusammeln, hatte ich ignoriert (woraufhin er sich die Hände an ihnen geschnitten hatte), und jetzt war ich meinen Job los.
    Einen Putzjob.
    ***
    Ich ging zu Fuß nach Bayswater zurück und brauchte dazu drei Stunden. In meinen achtzehn Lebensjahren hatte ich mir ein Bild von London gemacht, das überwiegend auf dem Film American Werewolf zu beruhen schien: voller gruseliger U-Bahn-Schächte, Nebel, grauem Himmel, freudlosen Menschen. Und Werwölfen. Der einzige Stadtplan, dessen ich habhaft wurde, war ein kostenloser U-Bahn-Plan. So kam es, dass ich von einem U-Bahnhof zum nächsten lief und mich bei den Zeitungshändlern nach dem Weg zur nächsten Station erkundigte. Ich war völlig überrascht, wie aufregend London war und wie sauber es wirkte. Aufgeräumt, großartig, voller interessant gekleideter Menschen – die jedoch, das musste ich zugeben, ziemlich freudlos wirkten. Ich war von der unglaublichen Größe der Stadt beeindruckt, von den ordentlich aufgereihten Früchten, die in den kleinen Geschäften auslagen, von den unzähligen Cafés und den Läden, die einzelne Pizzastücke verkauften, von den Reihen wunderschöner viktorianischer und gregorianischer Gebäude.
    Als ich endlich im Royal eintraf, war ich total erschöpft. Zu allem Überfluss trug ich dieselben Klamotten wie seit drei Tagen: Jeans und ärmelloses T-Shirt. Und ich stank nach Mäusekacke.
    »Francesco!« rief ich, zur Rezeption stolpernd. Er saß an seinem Tisch, neben ihm ein älterer polnischer Herr mit Brille: der Hotelbesitzer. »Ich bin gefeuert worden!«
    »Tatsächlich?«, fragte Francesco. »Warum gehst du nicht erst mal duschen und wir plaudern ein bisschen, wenn Mr Rutkowski fertig ist?«
    »Klar.« Mein schöner Francesco.
    ***
    Im Vorbeigehen warf ich einen Blick ins Internetcafé. Cheryl-Anne saß an einem Computer und tippte munter

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