Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
aufgedunsenen Körper in der Mitte des Zeltes. »Kann man wohl sagen, dass der tot ist.« Er vergrub die Hände tief in den Hosentaschen und zog geräuschvoll die Nase hoch. »Wenn Sie meine Meinung hören wollen: Der ist schon ein ganzes Weilchen tot. Mindestens zwei Monate.«
Isobel nickte und stellte ihre Tasche auf der Plane neben der Leiche ab. »Wahrscheinlich haben Sie Recht«, sagte sie, während sie in die Hocke ging und das tote Kind in Augenschein nahm.
Der Arzt stand noch eine Weile da und wippte auf den Fußballen auf und ab, während Isobel sich Latexhandschuhe überstreifte und ihre Instrumente auspackte. Seine Sohlen machten quatschende Geräusche im Morast. »Na denn«, sagte er, »geben Sie einfach Laut, wenn Sie irgendwas brauchen, okay?«
Isobel versprach, dass sie das tun würde, worauf sich der Bereitschaftsarzt mit einer leichten Verbeugung verabschiedete, sich an Logan vorbeidrängte und in die regengetränkte Nacht hinaustrat.
Logan blickte auf Isobels Kopf hinunter und dachte an all das, was er ihr hatte sagen wollen, wenn sie sich wieder begegneten. Um die Dinge wieder geradezubiegen. Um zu kitten, was zerbrochen war an jenem Tag, als Angus Robertson zu dreißig Jahren bis lebenslänglich verknackt worden war. Das hatte der ganzen Sache irgendwie einen Dämpfer aufgesetzt.
Und so fragte er stattdessen: »Kannst du schon was zur Todeszeit sagen?«
Sie blickte von dem verwesenden Körper auf und errötete ein wenig. »Doc Wilson hat nicht allzu weit danebengelegen«, sagte sie, ohne ihm in die Augen zu sehen. »Zwei Monate, vielleicht auch drei. Nach der Autopsie kann ich mehr sagen. Ist er schon identifiziert?«
»David Reid. Drei Jahre alt, fast vier.« Logan seufzte. »Seit August auf der Vermisstenliste.«
»Armes Kerlchen.« Isabel zog ein leichtes Headset aus der Tasche, streifte es über ihre Haare und testete das Mikrofon. Dann legte sie eine neue Kassette in ihr Diktiergerät und machte sich an die Untersuchung des kleinen David Reid.
Halb zwei Uhr nachts, und immer noch machte der Regen keine Anstalten nachzulassen. DS Logan McRae stand im Windschatten einer verkrümmten Eiche, um sich vor den Böen zu schützen, und sah zu, wie das Blitzlicht des Fotografen das Zelt der Spurensicherung stakkatoartig erhellte. Jedes Mal, wenn er auf den Auslöser drückte, wurden die flackernden Silhouetten der darin Versammelten wie bei einem makabren Schattenspiel an die blaue Plastikplane geworfen.
Vier starke Scheinwerfer glühten im wolkenbruchartigen Regen vor sich hin und tauchten den Bereich um das Zelt in gleißendes weißes Licht, während von den tuckernden Generatoren bläulicher Dieselqualm aufstieg. Kalter Regen fiel zischend auf heißes Metall. Außerhalb dieses Lichtkegels war es stockfinster.
Zwei der Scheinwerfer waren auf die Stelle gerichtet, wo der Graben unter dem Zelt der Spurensicherung hervorkam. Durch die Regenfälle der letzten Novembertage war er bis zum Überlaufen gefüllt, und Polizeitaucher in dunkelblauen Neopren-Trockenanzügen wateten mit grimmigen Mienen in dem hüfthohen Wasser herum. Zwei der Spurensicherer mühten sich derweil unter kräftigen Flüchen, ein zweites Zelt über den Tauchern zu errichten, um im hoffnungslosen Wettlauf gegen Wind und Regen eventuell noch vorhandenes Beweismaterial vor den Elementen zu schützen.
Kaum zweieinhalb Meter von der Stelle entfernt floss der Don vorbei; scheinbar lautlos schossen die dunklen Fluten des angeschwollenen Flusses vorüber. Kleine Lichtpunkte tanzten auf der Oberfläche – die Scheinwerfer spiegelten sich in den schwarzen Wassermassen, zitternde Gebilde, die sich im prasselnden Regen unentwegt auflösten und neu formten. Man mochte über Aberdeen sagen, was man wollte – was Regen betraf, machte der Stadt so schnell keiner was vor.
Weiter flussaufwärts war der Don schon an einem Dutzend Stellen über die Ufer getreten, hatte ganze Landstriche überflutet und Felder in Seen verwandelt. Von hier waren es nur noch rund anderthalb Kilometer bis zur Nordsee, und das Wasser floss rasend schnell.
Auf der anderen Seite des Flusses erhob sich hinter einer Reihe kahler Bäume die Hochhaussiedlung Hayton. Fünf gesichtslose Quader, gesprenkelt mit kalten gelben Lichtpunkten, die immer wieder hinter einem dichten Regenschleier verschwanden. Es war eine fürchterliche Nacht.
Ein hastig zusammengestellter Suchtrupp, aufgeteilt in zwei Gruppen, arbeitete sich mit Taschenlampen bewaffnet in beide Richtungen
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