Die Ecstasy-Affäre
Einsamkeit, komm. Fall über mich her. Überschütte mich mit Erinnerungen. Ersäufe mich in Traurigkeit. Halt nicht die Tränen zurück …
Robert und Gerda neben dem Weihnachtsbaum. Die Kerzen flackern. Ihr Schein bricht sich in den Glaskugeln. Das Lametta flimmert. Auf der Spitze des Baumes breitet ein goldener Rauschgoldengel seine Arme aus. Gelobt sei Gott in der Höhe … Stille Nacht, heilige Nacht … Denn euch ist heute der Heiland geboren …
Ein Klopfen ertönte an der Tür. Habicht schrak auf und erhob sich von seinem Stuhl.
»Ja?« rief er. »Bitte …«
Die Tür öffnete sich zaghaft, das Gesicht von Frau Hellenkamp erschien in der Türspalte. Sie war beim Friseur gewesen, ihr weißes Haar umrahmte in Löckchen ihren Kopf.
»Sie sind hier?« fragte sie.
»Wo soll ich sonst sein? An diesem Abend …«
»Verzeihung, Herr Doktor. Es war eine dumme Frage von mir. Sie gehen nicht aus?«
»Nein. Wohin?«
»Darf … darf ich Sie einladen?« Die Frage klang so, als habe ein schüchternes Mädchen sie ausgesprochen.
»Wenn ich nicht lästig falle …«
»Auch ich bin allein. Wir Verwitweten sollten zusammenrücken. Ich habe ein Hähnchen gebraten. Mögen Sie Hähnchen, Herr Doktor?«
»Eines meiner Leibgerichte. Gerda kochte dazu immer einen Wildreis und machte einen frischen Salat.«
»Ich habe Bratkartoffeln und Apfelmus …«
»Fabelhaft. Frau Hellenkamp …« Dr. Habicht machte eine Verbeugung. »Ich nehme die Einladung mit großer Freude an.«
Es wurde ein stiller, besinnlicher Heiligabend. Berthas Kochkünste waren lobenswert, nur der Wein, den sie dazu ausgesucht hatte, war nicht besonders. Habicht trank ihn tapfer; wie konnte man auch von Frau Hellenkamp verlangen, daß sie Weinkennerin war. Habicht beschloß, ihr einige gute Flaschen nach den Feiertagen zu schenken.
Es war gegen Mitternacht, als Habicht zu Bett ging, das Licht ausknipste und gegen die dunkle Decke starrte. Er streckte sich aus, faltete die Hände über der Bettdecke und sagte leise:
»Gute Nacht, Gerda … gute Nacht, mein Sohn Robert … Das erste Weihnachten ohne euch – aber ich habe es überstanden. Verdammt, ich habe es überstanden. Ich habe nicht gedacht, daß ich das schaffe …«
Weihnachten …
Vor dem Taiga stand kein Portier mehr und lockte die Kunden in das Lokal. Die sonst hell beleuchteten Schaukästen mit den nackten Darstellern der Sexshow waren dunkel, über dem Eingang brannte nur eine Art Notbeleuchtung. Keine Musik dröhnte auf die Straße, nur an der Ecke und in drei Hauseingängen warteten einige Nutten auf Kundschaft, auch hier nur eine Notbesetzung für die ganz Einsamen oder Abgebrühten, die in der heiligsten Nacht der Christenheit zur Fleischeslust flüchten wollten. Ein mageres Geschäft, das sich kaum lohnte, aber Dienst ist Dienst. Die straffe Zucht der Zuhälter kannte keine Feiertage.
Im Inneren des Taiga brannte auch nur schwache Beleuchtung. Es gab keine barbusigen Mädchen, die Bühne mit dem grellroten Vorhang war verschlossen. Ein trostloser Anblick. Nur die Bar im Hintergrund war erleuchtet, auch sie ohne einen Gast auf dem Hocker. Nur Sissi Huber stand hinter der Theke und trank eine Cola. Langsam ging Habicht durch den Raum.
»Bin ich allein?« fragte er.
»Bis jetzt ja.« Sissi reichte ihm die Hand über den Tresen. »Schön, daß Sie gekommen sind, Hubert.«
»Zu früh?«
»Wir haben schon 21 Uhr.«
»Und Sie sind allein hier?«
»Ich habe mit einer Kollegin getauscht, die jetzt eigentlich Dienst hätte.«
»Sie machen sich nichts aus Weihnachten, Sissi?«
»Sonst schon … Aber weil Sie kommen wollten …«
»Sie haben meinetwegen getauscht?«
»Dafür habe ich morgen frei … und da ist Betrieb«, wich sie aus. »Bier, Cocktail, Cognac oder Wein?«
»Heute trinken wir einen Wein. Einen Bordeaux. Habt ihr den? Aber eine verschlossene Flasche …«
»Sie kennen sich aus.« Sie lächelte ihn an. Ihr weißblondes Haar schimmerte, als hätte sie Goldstaub hineingekämmt.
»Seit einem halben Jahr bin ich Barfachmann. Ich kenne die offenen Flaschen mit dem Bordeaux-Etikett, aber drin ist billiger Landwein.«
»Wir haben auch echten. Die Flasche 270 Mark!«
»Ihr Halsabschneider!«
»Unsere Kalkulation. Die Gäste zahlen das ja freiwillig. Wer gut leben will, muß auch gut bezahlen.«
Habicht setzte sich auf den Barhocker und sah zu, wie Sissi aus dem temperierten Weinschrank eine Flasche holte. Einen Château Limoge. Nicht übel. Hubert wartete, bis die Flasche
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