Die Ecstasy-Affäre
mich.«
Wortke grinste breit. »Die Glückspille! Nimm sie, nimm sie … Dann sehen wir endlich mal einen glücklichen Kriminalbeamten!«
»Mir ist alles andere als zum Lachen.« Reiber schnippte mit den Fingern die Pyramidenreihe um. »Wir haben es jetzt mit einer neuen Verbrecherorganisation zu tun, über die wir nicht die geringsten Informationen haben.«
»Außer ein paar Morden«, ergänzte Wortke. »Das genügt mir.«
»Wir müssen in diesen Mafia-Ring hinein!«
»Bei Asiaten? Unmöglich. Das weißt du. Die lassen sich eher kastrieren, als ein einziges Wort zu sagen. Und wenn alles über eine legale Firma läuft, etwa Im- und Export von Elektroartikeln, pinkeln wir gegen eine Wand.«
Wortkes plastische Rede traf genau den Kern aller Probleme: Gegen eine gut und straff organisierte Mafia hatte die Polizei ohne einen Zeugen keinerlei Chancen. Doch in diesem Bereich einen Zeugen zu finden ist seltener, als einen zwanzigkarätigen Diamanten zu schürfen.
Am Morgen des Heiligen Abends holte Dr. Habicht seine ›Ikone‹ bei Rutkin ab. Am Abend vorher – wie vereinbart – war sie noch nicht lieferbar gewesen, und Rutkin hatte ihn auf den nächsten Morgen vertröstet. Habicht hatte danach noch zwei Stunden an der Bar gesessen und sich mit Sissi Huber unterhalten.
»Was werden Sie am Heiligabend machen?« fragte sie.
»Nichts.« Habicht hob die Schultern. »Was soll ein einsamer Witwer schon machen? Ich werde in meinem Zimmer hocken und fernsehen. Früher – ach Gott – früher war das immer einer der schönsten Abende des Jahres. Geschmückter Tannenbaum, Gänsebraten, Kartoffelknödel, Rotkohl, Bescherung. Mein Sohn Robert spielte Weihnachtslieder auf dem Klavier und dann Beethoven und Schubert; wir tranken einen guten Rotwein, meist einen Bordeaux, und ich rauchte eine Zigarre, eine Davidoff, die ich mir nur an Feiertagen gönnte … Es war ein richtig schöner Familienabend. Heute? Ich werde in Erinnerungen baden und vielleicht traurig sein …«
»Und sich betrinken …«
»Nein. So ein Typ bin ich nicht. Alkohol ist keine Lösung von Problemen, nur ein kurzzeitiges Betäuben.«
»Und an den Weihnachtsfeiertagen?«
»Wird es das gleiche sein, Fräulein Sissi …«
»Sie können das Fräulein weglassen, Herr Doktor …«
»Und Sie das Doktor. Woher wissen Sie denn, daß ich ein Doktor bin?«
»Ich habe es gestern beim Abschied vom Chef aufgeschnappt. Wie soll ich Sie denn anreden?«
»Wenn ich Sissi sagen darf, nennen Sie mich Hubert.«
»Also, Hubert, an den Feiertagen haben Sie auch nichts geplant?«
»Gar nichts. Ich nehme an, Frau Hellenkamp hat einen Braten gemacht und lädt mich dazu ein.«
»Und am Abend?«
»Die Glotze …«
»Wollen Sie nicht zu uns kommen?«
»Sie haben Weihnachten geöffnet?«
»Ab 21 Uhr … für so arme Einsame wie Sie. Nur Barbetrieb, keine Mädchen, keine Show. Der Chef sagt, am ersten Weihnachtstag könnte man mal aufs Bumsen verzichten.«
Sissi hatte ihr Versprechen gehalten und Habicht einen Spezial-Cocktail serviert, einen Blue Ridge, der je nach Mischung entweder anregend oder vom Hocker fegend wirkte. Dieses Mal hatte sie einen sanften Cocktail gemixt. Habicht nippte daran und nickte zustimmend.
»Sehr gut.« Er stellte das Glas zurück und blickte in Sissis Augen. Sie sah ihn erwartungsvoll an. »Möchten Sie, daß ich Weihnachten komme?«
»Das überlasse ich Ihnen. Es war nur ein Vorschlag.«
»Ich überlege es mir.«
In seinem Zimmer hatte Habicht später wirklich überlegt, ob er Weihnachten im Taiga verbringen sollte. Er entschloß sich, sich von seinen drückenden Erinnerungen ablenken zu lassen und zu Sissi zu gehen; er fand sie irgendwie sympathisch. Sie war anders als die vielen Bardamen, die er bisher kennengelernt hatte, ohne eine Erklärung zu haben, was sie von ihren Kolleginnen eigentlich unterschied. Es war eine Ausstrahlung, ein Anflug eigener Persönlichkeit, die zu mehr berufen war, als nur Männer zu animieren und vor einer Bühne zu arbeiten, auf der sexuelle Praktiken in allen Variationen dargestellt wurden. Verleben wir also Weihnachten in einer Bar, dachte Hubert Habicht. Das ist eine neue Erfahrung in meinem Leben.
Heute nun, am Morgen davor, empfing Rutkin ihn im neben dem Taiga liegenden Antiquitätengeschäft, einem kleinen Laden mit russischer Kunst, meist Kopien alter Meisterwerke, modernen Ikonen, Holzschnitzereien, Teppichen und Keramik. Grigorij Semjonowitsch hatte damit eine gute Tarnung gewählt; seinen
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