Die Ecstasy-Affäre
wirklichen Umsatz machte er mit Waffen und Mädchenhandel. Bei ihm konnte man alles bestellen – von einer Boden-Luft-Rakete bis zu einer grusinischen Bauchtänzerin. Nur mit Drogen handelte er nicht mehr, nachdem seine junge Geliebte, Tatjana Iwanowna, ein neunzehnjähriges Model von der Schönheit einer Elfe, sich den Goldenen Schuß gegeben hatte. An ihrer Leiche hatte Rutkin geschworen, daß in seiner Bar nicht ein Hundertstel Gramm Rauschgift mehr auftauchen würde.
»Ich habe für Sie, Herr Doktor, eine sehr gute Pistole besorgen können«, sagte Rutkin und legte die Waffe auf eine gestickte ukrainische Decke. »Ein Fabrikat aus Israel, 9 Millimeter, ladehemmungssicher, eingeschossen, mit fünfzig Schuß Munition. Zusätzlich ein Schalldämpfer, der aber hundert Mark extra kostet. Damit sind Sie bestens ausgerüstet. Zufrieden?«
»Sehr.« Dr. Habicht nahm die Pistole und zielte gegen die Wand. Zum erstenmal hielt er eine Waffe in der Hand, und es war ein eigentümliches Gefühl, die Finger um einen Gegenstand zu schließen, der einen Menschen töten konnte. Hochheben, abdrücken – das ist alles. So einfach ist ein Leben ausgelöscht. Mit einem innerlichen Schauer legte er die Pistole auf die ukrainische Decke zurück. Rutkin starrte ihn verunsichert an.
»Stimmt etwas nicht?« fragte er.
»Doch, doch. Es ist alles in bester Ordnung.«
»Haben Sie schon einen Hinweis, wo sich die schöne Mörderin versteckt?«
»Noch nicht. Aber wenn Sie – wie versprochen – mir helfen …«
»Ich werde alle meine Beziehungen ausnutzen.« Rutkin sah zu, wie Habicht die Pistole, den Schalldämpfer und die Munitionsschachtel in die Manteltasche steckte und den Kaufpreis auf den Tisch zählte. »Sie wollen sie wirklich erschießen?«
»Ich weiß es nicht. Es kommt darauf an, in welcher Verfassung ich bin, wenn ich ihr gegenüberstehen werde.«
»Sie verpfuschen damit Ihr ganzes Leben.«
»Es ist schon verpfuscht.«
Grigorij Semjonowitsch lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. Dieser Dr. Habicht gefiel ihm; zu einem künftigen Mörder kann man offener sprechen als zu einem normalen Kunden. »Sehen Sie mich an, Herr Doktor«, sagte Rutkin. »Ich bin erst 31 Jahre alt, aber ich habe viele Leben hinter mir. Und immer habe ich zu mir gesagt: Brüderchen, scheiß auf die Vergangenheit, fang noch mal von vorn an. Und ich lebe weiter und habe alles Vergangene abgeworfen. Das sollten Sie auch tun! Denken Sie daran, was ich Ihnen vorgeschlagen habe: Wir suchen diese Frau, und dann übergeben Sie sie mir. Das wird eine größere Strafe sein als der Tod. Tod – das heißt: Es ist vorbei. Leben – wie sie es ertragen wird – heißt: die Qual der Stunden zu ertragen.«
»Woher kommt Ihr Interesse an dieser Frau? Weil sie schön ist?«
»Ihre Schönheit wird sie ernähren, weiter nichts. Nein … sie hatte mit Drogen zu tun, nicht wahr?«
»Mit Ecstasy.«
»Ich hasse alles und alle, was mit Drogen zu tun hat. Ich hasse es bis in die Tiefe meines Herzens! Herr Doktor, überlassen Sie mir diese Frau!«
»Ich überlege es mir.« Habichts Haltung wurde abweisend. »Überlassen wir alles dem Augenblick.«
In seinem kleinen möblierten Zimmer bei Frau Hellenkamp übte er am Nachmittag mit leerem Magazin das Ziehen, Entsichern und Abdrücken der Pistole. Nach fünfmaligem Üben steckte er die Waffe weg, er kam sich zu blöd vor. Ich bin kein John Wayne, dachte er. Ich brauche nicht der Schnellste zu sein. Es kann ganz langsam gehen, ich will die Angst in ihren Augen genießen, diese flatternde Todesangst, so wie Robert sie gehabt haben muß, als man ihm den Lauf ins Genick preßte. Ich will sie um ihr Leben betteln hören, ich will, daß sie vor mir auf die Knie fällt. Und dann werde ich die Pistole an ihre Stirn halten und abdrücken.
Er ließ sich auf das Bett fallen und verkrampfte die Finger in der Bettdecke. Mein Gott, was ist aus mir geworden? Woran denke ich? Hat es in Wahrheit drei Tote gegeben? Ist auch der Oberregierungsrat Dr. Habicht gestorben, seelisch gestorben? Gibt es uns alle nicht mehr? Mit welchen Gedanken lebst du jetzt?
Er stellte sich nebenan unter die Dusche, zog sich dann um, einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd, eine silbergraue Krawatte, so wie er es immer zum Heiligabend getan hatte, setzte sich vor den Fernseher und stellte ihn an. Das Vorabendprogramm lief. Ein Kinderchor sang in einer barocken Kirche.
Dr. Habicht lehnte sich auf dem Stuhl weit zurück. Jetzt,
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