Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)
»Kriminellen« schwafelten, sich fragten, warum nicht jeder Unterdrückte und Verarschte als Mutter-Teresa- oder Mahatma Gandhi-Jeck zum Karneval des Lebens schritt. Ja, das ist gut, Irmi, empöre dich.
Sie erklärte es den Mädels, die nickten auch artig. Man besah sich den Schirm. Er hatte eine verrostete Spitze, die wehtun würde, wo immer sie auf Haut, Fett, Fleisch, Knochen traf. »Ich spiele das arme, unschuldige Mütterlein kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Ihr macht auf verängstigte Häschen. Heulen könnt ihr doch, oder? Wozu seid ihr schließlich Mädels, Tränen gehören doch zu unserer Grundausstattung wie Lippenstift und Tampons und Labello.« Auch das wurde umgehend bestätigt.
Irmi legte den Schirm unauffällig neben sich. Sie warteten. Von draußen drang gedämpft Hektik zu ihnen, Stimmen und Stolpern, Geschrei und Gemurkse. Endlich machte sich jemand an der Tür zu schaffen, sie war mit einem großen Vorhängeschloss und einer Kette versehen worden. Der Rainer und der Konrad traten ein, »Obacht Mädels«, zischte Irmi noch schnell, »verlasst euch auf euer Gefühl. Und jetzt bitte heulen und wehklagen.«
Die Zwillinge begannen zu heulen und zu wehklagen. Irmi stöhnte laut auf, zitterte, sah den beiden Männern ängstlich und demütig zugleich entgegen. »Lasst uns doch laufen, wir verraten doch nix!« Es klang herzzerreißend und die Zwillinge fügten im Chor ein dramatisch gebrochenes »Jaaaaa« hinzu. Der Rainer und der Konrad wurden sichtlich verlegen. Keine Berufskiller, immerhin. »Ihr blöden Schnallen, das hättet ihr euch vorher überlegen sollen«, sagte der Konrad und kam näher. Noch nicht nahe genug. Irmi versuchte sich zu er heben, tat so, als brauche sie den Schirm, um sich aufzustützen. Mein Rettungsschirm, dachte sie und frohlockte. Sie fixierte jene Stelle an des Konrads Körper, die ihr vergangene Nacht noch durchaus unerwartetes Vergnügen bereitet hatte. Auch die Zwillinge erhoben sich nun, sie spielten ihre Rolle als Klageweiber perfekt, rauften sich die Haare, ließen dem Tränenfluss freien Lauf. »Hört mit dem Gegreine auf!«, forderte der Rainer und kam ebenfalls näher. Irmi taumelte. Stöhnte »Oh Gott, mein Herz!« und griff sich an die entsprechende Stelle. Der Konrad machte zwei rasche Schritte, wollte Irmi auffangen. Sein Fehler.
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Marxer hörte die Stimmen zweier Männer, die sich jenseits der Tür unterhielten. Nichts zu verstehen, das typische konspirative Flüstern und Zirpen. Sollte er versuchen, die Tür zu öffnen? Zu gefährlich. Überra schungseffekt? Zu ho hes Risiko. Am Ende wäre er der Überraschte. Umdrehen, weggehen, abwarten? Prima Idee. Aber das machte in Kriminalromanen kein Schwein, ganz schlechte Dramaturgie. Marxer spulte sämtliche Szenarien ab. Keines überzeugte ihn. Er sah sich um, ein kleiner enger Hof, der die Sonne nicht kannte, deprimierender Anblick. Ihm musste etwas einfallen.
Wenn er wenigstens die Gesichter seiner Gegner sehen, ihre Entschlossenheit abschätzen könnte. Die Gesichter... Eine Idee schaute vorbei und blinzelte schelmisch. Na, Marxer, wär doch mal was anderes. Der Dichter schloss die Augen, ein Bild wurde gemalt und setzte sich schleppend in Bewegung, nahm Fahrt auf. Marxer lächelte.
»Und?« Johann hatte Laura einen Zehner in die Hand gedrückt, »mit den besten Empfehlungen an die armen Kinder in Afrika«. Jonas stand schweratmend daneben, überspielte seinen Zustand durch beständiges Betrachten seiner Fußspitzen. Laura lächelte und sagte »Dankeschön, Onkel«, was dieser mit einem »A geh, wir Österreicher sind doch mit dem Tod auf du und du, keine Ursache« vergalt. Sie gingen gemächlich dem Tor zu, Laura drehte sich um, schickte dem Onkel ein letztes Winkewinke, der aber hatte sich schon umgedreht und schritt akkurat die Treppe hoch. Noch einmal: »Und?« Jonas nickte. »Gibt einen Hintereingang. Is auch offen, habs probiert. Aber wie kommen wir wieder aufs Gelände? Noch mal klingeln geht wohl schlecht.« »Ja«, bestätigte Laura. »Aber wir laufen mal um den Zaun rum. Wird uns schon was einfallen.«
Wie gut, dass man immer einen Laptop im Kofferraum mit sich führte. Hochfahren und einloggen. Sich einen schönen Text überlegen, eintippen, abschicken. Marxer lächelte noch immer. Der Zeitfaktor war die Unbekannte. Bis die Sache ins Laufen kam, würde mindestens eine Stunde vergehen, vielleicht sogar zwei. Dann aber ein großes Hallo, Großmuschelbach! Er würde das Fotogeschäft vom Wagen aus
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