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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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aus. Er hatte die Mächtigen der EU bekniet, sich des isländischen Problems auf elegante und preiswerte Art zu entledigen. Island wurde von 300.000 Hanseln bevölkert. Würde man jedem eine Million Euro aufs Girokonto überweisen, hätte man für summa 300 Milliarden Ruhe. War doch kein Geld heutzutage! Aber nein, man wollte die Griechen, die Spanier, die Italiener nicht auf dumme Gedanken bringen, als hätten die jemals andere gehabt. Jetzt hockten sie bis zum Kinn im Salat. Rettungsschirm aufspannen. Kriesling-Schönefärb, lassen Sie sich einen geilen Spruch einfallen, damit wir der Bevölkerung ihre sukzessive Ausplünderung als staatliche Wohltat verkaufen können. Das sagte sich so einfach!
    Er hatte sich ins Auto gesetzt und war losgefahren. Irgendwo hin, ziellos. Hier gelandet. Ausgestiegen, sich die Beine vertreten wollen, den Kopf frei kriegen. War natürlich schiefgegangen. Er stapfte durch letzte Schneepfützen, knöcheltiefen Morast. Er dachte unsinnigerweise an seinen letzten Geschlechtsverkehr, der mit der Sekretärin eines Staatssekretärs ausgeübt worden war. Wie tief konnte man eigentlich sinken, damit man endlich oben auf der Karriereleiter landete? Er musste hier raus. Aus diesem Wald, aus seinem Leben. Er käme nicht heraus. Vielleicht aus diesem Wald, bestimmt nicht aus seinem Leben. Deutschland brauchte ihn doch.
    Der Regen hatte nachgelassen, aber es war zu spät. Mauritz Kriesling-Schönefärb stand völlig durchnässt auf einer Lichtung, ihn fröstelte. Eine Erkältung konnte er sich nicht leisten, auch sterben konnte er sich nicht leisten. Wieso sterben? Was für ein Gedanke war ihm da plötzlich in den Kopf gekommen? Zwischen den Bäumen glänzte etwas Helles, ein Wink der Zivilisation, ein Gebäude. Kriesling-Schönefärb setzte seine Füße vorsichtig ins Unterholz, die dürren Zweige knackten wie angesägte Währungen, es war, als schrien sie. Solche Geräusche kannte er nur von Börsianern, die sich nach einem Crash aus dem 23. Stock ihrer Geldtürme stürzten. Aber hey, alles wird gut. Da vorne, keine zwanzig Meter mehr, wartet die menschliche Rasse wieder auf dich, ein gediegenes Jagdhaus, zwei Autos stehen davor, gastfreundliche Leute aus der gehobenen Gesellschaft, man wird dir heißen Tee und frische Brötchen servieren, angeregt plaudern. Vielleicht darfst du sogar duschen und im Bademantel des Hausherrn ausruhen, bis deine Klamotten getrocknet sind.
    Die Tür des Hauses öffnete sich. Eine Frau trat heraus. Eine zweite Frau folgte. Und ein Mann. Er hielt die zweite Frau um die Hüfte gepackt, in der anderen Hand ein Messer, an der Kehle der Frau.

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    »Der Regenschirm«, sagte Irmi. »Da in der Ecke. Gibst ihn mir mal, Moni? Oder Helga?« Sie hatten sich in ihrem Gefängnis, diesem ehemaligen Schweinestall, nach einer Waffe umgeschaut, und der Regenschirm entsprach wenigstens annähernd der Vorstellung eines Gegenstandes, mit dem man ein Auge ausstechen, einen Schädel malträtieren oder einem Mann genitalisch böses Aua machen konnte.
    Draußen waren mehrere Autos vorgefahren. Die Land- und Geldloskommune Antonio Gramsci hatte also mehr zu bieten als vier in die Jahre gekommene Retrofreaks. Von den beiden Kerlen, denen die Zwillinge ihr Hiersein zu verdanken hatten, gar nicht zu reden. Vielleicht veranstalteten sie eine Krisensitzung. War ja gerade wieder modern. Eine Arbeitsgruppe »Zeugenbeseitigung«. Brauchten Hilfe bei der Entsorgung dreier Leichen. Keine guten Aussichten. Der Regenschirm machte auch nicht den Versuch, sich als preisgünstige Alternative zu einer soliden Kalaschnikow zu verkaufen.
    »Wir werden uns nicht kampflos ergeben!« Irmi sagte es den Zwillingen immer wieder vor. Man musste wütend werden, seine gute Kinderstube vergessen, »Macht kaputt was euch kaputt macht«, das Lied von Ton Steine Scherben fiel ihr wieder ein. Ok, da war Claudia Roth mal Managerin gewesen, die grüne Claudia, ausgerechnet! Das machte Irmi nur noch wütender. Sie war gegen Gewalt, aber sie verstand, warum Menschen gewalttätig wurden. Kids in den Londoner Slums, in den Pariser Vororten, auf den Madrider Plätzen. Wer Menschen wie Tiere behandelt, darf sich nicht wundern, wenn sie wie Tiere reagieren. Instinktiv um ihr Leben kämpfend, ungezügelt, unkultiviert, während die andere Gewalt, die kultivierte, sich als Ignoranz tarnte, als Desinteresse, als hochzivilisiertes Nachdenken, wie man selbst am günstigsten aus der Nummer herauskäme. Mümmelfressen, die indigniert von

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