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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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drehen, Sonja schielte nach dem Fenster, ich nickte, Sonja stand auf und öffnete es.
    »Vor drei Tagen bin ich hier angekommen«, setzte Sonja ihren Bericht fort, »aber mein Bruder war nicht daheim. Die Hauswirtin kennt mich, sie hat mich reingelassen, alles sah aus wie immer, nur die Post lag hinter der Tür. Die Post von einer Woche. Natürlich dachte ich, hm, der ist verreist. Bei seiner Firma wusste man nichts davon. Hatten selbst schon versucht, ihn zu erreichen.«
    »Und sonst nichts? Ich meine... wenn sich ein Angestellter einfach so in Luft auslöst, ohne Entschuldigung, ohne Info...«
    »Kam mir auch komisch vor«, bestätigte Sonja, und weil es uns beiden komisch vorkam, dachten wir eine Weile still darüber nach.
    »Gestern war ich dann bei der Polizei. Vermisstenanzeige. Die haben das nicht ernstgenommen. Erwachsener Mann und so, aber sie würden mal bei den Krankenhäusern nachfragen. Dabei passt das alles nicht zu meinem Bruder. Er ist ein Pedant. Ein zuverlässiger Mensch. Ein Kontrollfreak.«
    »Ein Langweiler«, fasste ich zusammen.
    »Ja«, lächelte Sonja, »früher hab ich ihn Nachts angerufen, wenn ich nicht schlafen konnte, und nach zwanzig Minuten konnte ich’s dann ohne Tablette.«
    Ich wagte ihr nicht zu sagen, dass sie mir damit eine weitere Karriere eröffnet hatte, falls die als Detektiv scheitern sollte, wovon auszugehen war. Ich bin so langweilig, dass jemand, der zwanzig Minuten mit mir am Telefon übersteht, schon ziemlich tot sein muss.
    »Sie sind meine einzige und letzte Chance«, sagte Sonja Weber jetzt. »Werden Sie den Fall übernehmen?«
    »Ich übernehme mich ständig«, antwortete ich, »aber Sie müssen mir alles erzählen. Warum sind Sie hier und nicht in Ihrem idyllischen Städtchen?«

6
    Die Frage war indiskret und schon während ich sie stellte, schämte ich mich dafür. Aber ich besaß die Macht, Sonja Weber indiskrete Fragen zu stellen, eine banale Folie hatte sie mir erteilt. Das steckte wahrscheinlich sowieso hinter der ganzen Geschichte: nicht Menschenliebe, nicht Langeweile oder sonst was, sondern Voyeurismus und ein bisschen Machtgeilheit, das übliche Quantum Allmachtsphantasie, wie es auch ein Sachbearbeiter der Arbeitsagentur brauchen mag, wenn er einem zusammengefalteten Bündel Elend gegenübersitzt, das sein Existenzminimum haben möchte. Ich frage, du antwortest. Du antwortest nicht, ich senke den Daumen. Das ist auch nicht anders als beim Weltwährungsfonds, der die Iren nach getürkten Bilanzen fragt, oder eben bei mir, der ich Sonja Weber alles fragen kann, was ich will. Sie muss antworten. Vielleicht lügt sie, aber das ist ein Risiko. Slipfarbe, Intimrasur, Lieblingsstellung – ich begnügte mich damit, sie zu fragen, warum sie ihr Nest verlassen hatte und in die Stadt gekommen war, ich war nur ein moderates Schwein.
    Sonja Weber mochte wissen, dass ich ein kleines Machtspielchen mit ihr veranstaltete. Verlierer ahnen die Niederlage sofort, kluge Verlierer quälen im Rahmen ihrer Möglichkeiten zurück, und Sonja Weber war klug. Sie ließ mich in meiner Beschämung zappeln, schenkte sich seelenruhig neuen Kaffee ein, ihr Blick begleitete den Qualm meiner Zigarette auf seiner Reise fensterwärts, sie legte sich probeweise ein Lächeln aufs Gesicht und wischte es wieder weg, sah mir endlich in die Augen, einen lakonischen Satz lang.
    »Ich habe innerhalb von drei Wochen meine Arbeit, meine Freund und meine Wohnung verloren.«
    Eine Katastrophe in Schlagzeilen. Sonjas Gesicht wurde, als sie dem Satz nachlauschte, für Momente das einer alten Frau, aber sie wischte auch das weg. Stand auf, ging zum Fenster, schloss es. Auch ich erhob mich, ging zum Schrank, nahm Stift und Notizblock aus der linken Schublade, las das Gekritzel auf dem obersten Blatt – »Filtertüten gehen aus, neue besorgen«, riss es ab und steckte es in die Hosentasche. Irgendwie kamen wir uns auf den Rückweg zum Tisch in die Quere, Sonja und ich, wir berührten uns flüchtig, »Entschuldigung«, sagte Sonja, »aber nicht doch«, sagte ich, »in Kambodscha quetschen sich Hunderte von Menschen auch ohne Technobeat zu Tode, dagegen ist das gar nichts.«
    Wie auch immer. Der Moment der Machtausübung war vorbei, es wurde Zeit, Professionalität zu heucheln. Hoffentlich hatte der Kugelschreiber nicht schon seinen Geist aufgegeben, die Filterpapiergeschichte lag, ich erinnerte mich, ein Jahr zurück und war natürlich vergessen worden. Aber er funktionierte nach einigem guten Zureden

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