Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
weiblicher Fingerfertigkeit, nun, darunter leiden viele, wenn nicht alle. Das ist so etwas wie der sexuelle Schnupfen, wenn Sie verstehen. Eine Überproduktion masochistischer Phantasien, die keinen natürlichen Ausgleich finden, nun, deshalb hatte ich Rat und Behandlung gesucht. Eine allerdings leichte Form dieser Krankheit, möchte ich betonen, keineswegs chronisch, mit etwas Fesselung und ein paar Streichen mit nicht allzu schmerzenden Gegenständen sehr schön therapierbar. Bondage, lautete dementsprechend die Diagnose der Rezeptionistin, einer bereits ergrauten, wenngleich aufwändig gefärbten Dame mit beträchtlicher Berufserfahrung, was man ihr auch ansah.“
Ein Mann hatte die Kaffeebar betreten, „Claudimausi“ aus ihrer Erstarrung geschreckt. Auf einen Zettel in Raths Gedächtnis wurde „Mach ma ne Latte, Claudimausi“ gekritzelt, was irgendwie zum Thema passte. Rath seufzte vernehmlich. „Danach ging es in ein Wartezimmer. Das 'Centre d'Amour' wird gerne frequentiert, man muss sich auf gewisse Wartezeiten einrichten. Es liegen Zeitschriften herum, der Playboy immer frisch, neuerdings – habe ich gehört – kann man sogar gewisse Filme anschauen, um sich die Zeit zu verkürzen. Manchmal löst sich damit das Problem quasi von alleine. – Ich sitze also dort und bin nicht der einzige, der wartet. Ein Mann, schon etwas älter, wartet auch. Und wie es halt in Arztpraxen so ist, man kommt ins Gespräch und tauscht sich aus, und als der Mann 'Bondage' hört, sagt er plötzlich: 'Plüschhandschellen. Versuchen Sie es einmal mit rosa Plüschhandschellen, das hat bei mir geholfen, aber bestehen Sie darauf, von Vanessa behandelt zu werden, nicht von Cherry, die kann das nicht.' – Ich versprach es und bedankte mich für den Tipp.“
Wir bestellten zwei Espresso, die Rath allerdings „Espressi“ nannte. Dann fuhr er fort: „Nun, für Ihre Sache ist die weitere Geschichte irrelevant. Es ist halt nur die Zufallskugel, die von Ihren 'Plüschosterhasen' als erste angestoßen wurde. Sie setzt sich in Bewegung und rollt gegen eine andere. Entschuldigung für die Umständlichkeit, aber ich sagte es anfangs: Die Sache ist kompliziert.“
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Wir waren längst auf Espresso umgestiegen. „Claudimausi“ servierte gerade den vierten, und auch fast so lange schon waren wir die einzigen Gäste in der Kaffeebar. Nach der schlüpfrigen Geschichte mit den rosa Plüschhandschellen im Etablissement „Centre d'Amour“ tischte mir Günther Rath eine weitere auf. Sie habe sich gestern abgespielt, hier nebenan, ein Typ, der Zimtschnecken gekauft und dabei telefoniert habe.
„Jüngerer Bursche in feinem Zwirn. Drei Zimtschnecken, da hat sich sein Handy gemeldet, dieser Klingelton – war das nicht die Erkennungsmelodie von STAR WARS?“ Er überlegte, ich überlegte ebenso. Star Wars? Hatte ich vor kurzem gehört, als sich das Handy von Kriesling-Schönefärb... Ich beschrieb ihm den Mann und Rath nickte eifrig. „Ah! Sie kennen ihn! Sehr gut! Jedenfalls: Er hat fast nur zugehört und dann jenen Satz gesagt, der von den Plüschhandschellen quasi angestoßen wurde, also wenn wir uns das Ganze mal als Poolbillard etc... Er lautete: 'Ich lass mir von Ihnen doch keine Handschellen anlegen, Herr Staatssekretär, wo sind wir hier eigentlich?'„
„Hm“, machte ich, „das ist ein gestresster und vielbeschäftigter Mensch, das kann sich auch auf etwas anderes beziehen.“ Rath lächelte und schüttelte den Kopf. Wohl kaum. Es sei nämlich noch etwas vorgefallen. Kaum nämlich habe der Kunde das Telefonat beendet, sichtlich verärgert und verwirrt, wollte er auch schon mitsamt der Zimtschneckentüte seines Weges ziehen. Ohne zu bezahlen. Wogegen er, Rath, aus naheliegenden Gründen etwas gehabt habe.
„Eine gewisse Gedankenverlorenheit, das hat mir meine Menschenkenntnis sogleich geflüstert, kein Versuch, die Zeche zu prellen. Der Herr hat auch einen noch roteren Kopf gekriegt, als ich ihn auf sein Versäumnis hinwies, und eine Entschuldigung aufgesagt. Dann in seinem Geldbeutel nach Münzen gesucht, weil er nicht mit einem der Hunderteuroscheine bezahlen wollte, die aus dem Scheinfach spitzten. 'Bei mir werden Sie auch Ihr Kleingeld los', formuliere ich jovial – und jetzt passen Sie auf, jetzt kommts nämlich, Herr Klein. Der Kunde schaut ganz verblüfft und beginnt schallend zu lachen. 'Geld los! – Geldlos!' Er verschluckt sich fast dabei. Ruft noch einige Male 'geldlos', als sei das ein guter Witz – und
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