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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Obskur und bizarr, aber nicht zufällig. Nein, das glaube ich nicht. Es sind gewisse Ähnlichkeiten, die diese Verbindungen herstellen, irrwitzige Assoziationen jenseits der Ratio. Wie in der Sprache. Die Wörter „Scheinwerfer“ und „Schweinwerfer“ etwa. Sind sich phonetisch ziemlich nahe, aber sonst? Im Traum wäre das vielleicht so: Ich fahre des Nachts mit eingeschalteten Scheinwerfern auf einer Landstraße und plötzlich steht ein Mann auf der Fahrbahn und wirft eine trächtige Jungsau gegen die Leitplanken. Die Sau platzt – und ein weiterer Mann taucht auf, greift in die Gedärme des Tieres, zieht ein Bündel Hunderter heraus und wirft die Scheine dem anderen Mann entgegen. Hier schließt sich der Kreis Scheinwerfer – Schweinwerfer – Scheinwerfer.“
    Er beugte sich vor, riss die Augen auf und richtete sie – wie Scheinwerfer? – auf mich. „Halten Sie mich jetzt für verrückt?“
    Das fragte er genau den Richtigen. Ich stellte mir einen Traum vor, in dem alles an seinem rechten Platz stand. Ein hübsch aufgeräumtes Zimmer. Und dann komme ich in den Raum, schaue mich um und verrücke etwas, den Couchtisch beispielsweise. Was ist nun verrückt? Der Couchtisch oder das Unverrückte in Relation zu diesem Couchtisch? „Hübsches Beispiel“, lobte Rath und beauftragte das vorbeihuschende Serviermädchen, salopp mit „Claudimausi“ angesprochen, uns bitte die nächsten beiden Biere herbeizuschaffen. „Genauso arbeite ich. Etwas hören, in die Tonne des Gedächtnisses stopfen, etwas anderes hören und abwarten, ob dieses Etwas eine merkwürdige Verbindung mit etwas anderem in der Tonne eingeht. Und deshalb habe ich sie kontaktiert. Ist nämlich passiert. Und wie. Völlig unglaublich, Sie werden schon sehen.“
    Die ganze Zeit, während er so redete, hatte er zugleich aufmerksam jedes Geräusch um sich herum registriert. Am Nebentisch hockte ein Pärchen und unterhielt sich über eine „Corinna aus dem Büro“, „Claudimausi“ warf im Vorübergehen ein „Unterhaltet ihr euch über Corinna, die Schnepfe?“ hinzu und Günther Rath saugte all das und vieles mehr durch seine Ohren ins Gedächtnis, ließ es dort scheinbar acht- und planlos liegen, wartete auf Verbindungen, auf Auswüchse, auf Verwachsungen, auf Befruchtungen, hochpeinliche Verrenkungen... der Mann wurde mir immer unheimlicher, keine Frage, aber genau das gefiel mir.
    „Aha“, sagte ich. „Sie haben also mein Gespräch mit Perschau belauscht.“ Rath hob die Hände. „Sagen Sie nicht belauscht. Es geschieht einfach! Ich setze mich irgendwo hin und höre einfach, was es zu hören gibt. Ich strenge mich nicht an, ich setze mich nicht extra so, bestimmten Gesprächen beizuwohnen. Und glauben Sie mir: Manchmal ist mir all das eine Last, eine Pein, ein Fluch. Andererseits: Es ist mein Leben. Verstehen Sie das?“
     
     
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    „Hören Sie das?“ Günther Rath sah mich erwartungsvoll an, schüttelte dann aber sofort resigniert den Kopf. „Nein, Blödsinn, wie sollten Sie das hören. Das in mir. Dieses Rumoren. Dieses Knistern. Ich stelle mir vor, da liegen ganz viele Zettel in meinem Gedächtnis und die bewegen sich, die krabbeln durcheinander wie Spinnen oder Schaben oder Heuschrecken – ja, Heuschrecken, glaub ich – und das ist so eine Art Summen – nein, Summen wäre zu schwach... ach, ich weiß nicht.“
    Nein, hören konnte ich nicht, was in Raths Kopf geschah, sehen aber schon. Denn der Mann hatte fürchterlich zu schwitzen begonnen, trocknete sich mit einem großen karierten Stofftaschentuch die Stirn, so notdürftig und von vorübergehendem Erfolg, als stopften die in Berlin gerade wieder das große Euroloch, indem sie Geld hineinwarfen und zuschauten, wie es in den geöffneten Rachen des Spekulantentums plumpste. „Entschuldigen Sie bitte meinen Zustand, aber gerade muss ich mich anstrengen, die Zusammenhänge zu visualisieren. Sie wissen schon: Ihr Gespräch heute Mittag mit diesem Dummschreiber. Dieses Zettelchen. Es kriecht auf seinen Beinchen – ich stelle es mir gerade als Tausendfüßler vor – über und durch all die anderen Myriaden von Zetteln und schnüffelt an ihnen herum nach Verwandtschaft, nach irgendeiner Assoziation. Da! Hat etwas gefunden! Einen kleinen Dialog, zwei Männer an meiner Theke, sie kaufen sich Reiseproviant, muss so sein, denn der eine sagt: 'Krümel auf der Fahrt nicht wieder den Sitz so voll, Bernie!' und dann sagt der andere: 'Lieber den Sitz vollkrümeln als vollpissen wie dieser

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