Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
Moritz Klein es beinahe getan hätte.' Und dann lachen beide dieses dreckige Lachen, verstehen Sie?“
Ich verstand. Die beiden Killer, nach getaner Arbeit auf der Heimfahrt. Davon hatte ich Perschau nicht mal etwas erzählt, Rath machte also keine Show, spielte nicht den Hellseher. Er war echt und die Turbulenzen in seinem Kopf waren es ebenfalls. Der Mann tat mir leid, wenngleich ich mich nicht in ihn hineinversetzen konnte. Mein Gedächtnis ist nur das gewöhnliche Sieb, die Zettel darin leichtverderbliche Ware.
Anders bei Günther Rath. Und tatsächlich, jetzt glaubte ich den Aufruhr in seinem Kopf zu hören, das Wispern der Zettel, das Übereinandergleiten der Papiere. „Geldlos“, sagte er dann, einigermaßen ohne Atem und noch immer schwer schwitzend. „Eine Buchhandlung, aber fragen Sie mich nicht, welche. Ich bummelte in meiner Mittagspause natürlich durch die Innenstadt, durch die Geschäfte, Sie glauben gar nicht, wie man dann mit Sätzen und Wörtern abgeduscht wird! Buchhandlungen! Furchtbar! Dummes Geblöke! 'Ich möchte gerne das Buch mit dem grauen Ding auf dem roten Umschlag, der könnte auch weiß sein.' ... Eine Frau, aber ich sehe ihr Gesicht nicht. Ich sehe nur, wie sich dieses Gesicht einem Mann zugedreht hat, der ein Buch in der Hand hält und der Titel des Buches ist 'Geldlos glücklich. Wie wir die Geldwirtschaft überwinden und in eine neue Zukunft durchstarten'. So ein neumodischer Schnickschnack, denke ich noch. Aber dann sagt die Frau etwas. 'Meinst du wirklich, Georg, dass hier was Wichtiges drinsteht?' Und der Georg Genannte schnalzt mit der Zunge – Mein Gott, ich höre es! – und antwortet: 'Klar, Schwesterherz, ich bin mir sicher. Zahlst du bitte? Ich hab meinen Geldbeutel im Auto vergessen.'„
Warum dachte ich in diesem Moment an Georg Webers Auto? Daran, dass ich mich nie gefragt hatte, ob er eins besitze? Und falls ja, wo es geblieben sei? Günther Rath lehnte sich zurück, das Taschentuch in seiner Hand war plitschnass, er legte es stöhnend auf den Tisch neben das halbvolle Glas, zog ein anderes, frisches aus der Tasche, wischte sich die Stirn, machte „Aaaaaah“.
Schwesterherz. Das konnte nur Sonja Weber sein, die Unschuldige, die von nichts wusste, die Schauspielerin. Oder schauspielerte am Ende doch dieser Günther Rath? Was hätte er damit bezwecken können? „Ich bin noch nicht fertig“, sagte er jetzt, „das Beste kommt erst noch. Die Zettel lärmen in mir, es ist nicht mehr zum Aushalten.“
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„Jetzt wird es kompliziert“, kündigte Rath an. Er schien sich ein wenig beruhigt zu haben. Das schnatternde Pärchen am Nebentisch war verschwunden, „Claudimausi“ dämmerte hinter der Skyline der Espresso- und anderer Kaffeemaschinen, auf Kundschaft wartend. Sonst nur das Passantengemurmel, zu bloßem Geräusch zerriebene Wörter, für die das Rathsche Gehirn keine Zettel an- und abzulegen brauchte. Hoffte ich jedenfalls.
„Spielen Sie Poolbillard?“ Ich verneinte. Ich spielte nicht einmal Taschenbillard. „Aber Sie wissen schon, was da passiert. Man stößt eine Kugel vermittels den Queues in eine Menge anderer Kugeln, welche dann auseinander stieben, gegen die Banden prallen und untereinander karambolieren, bis endlich eine der Kugeln oder mehrere in eines oder mehrere der Löcher...“ „Ja klar“, winkte ich ab, „reine Physik“. Rath atmete durch. „Reine Physik“, wiederholte er gequält lächelnd. „Aber sei es drum. Ihr Gespräch hat wie der Stoß einer Kugel in einen Schwarm anderer gewirkt, aber nein, es war ein Wort, das sie mehrmals aussprachen, das Wort 'Plüschosterhasen'. Ich muss jetzt sehr persönlich werden, was mir nicht leichtfällt, aber...“ Er schielte zur noch immer vor sich hin dösenden „Claudimausi“, beugte sich dann zu mir, ich roch den Schweiß auf seiner Haut – „wir sind beides Männer, wir haben - gewisse Bedürfnisse, Sie werden mich nicht verurteilen. Kennen Sie das 'Centre d'Amour'?“
Ein Puff im Industriegebiet Ost, kannte jeder. Natürlich war niemals ein Mann dort eingekehrt, ich am allerwenigsten. „Vom Vorbeifahren“, log ich ergo. Rath nickte verständnisvoll und wissend. „Genau, ich auch. Aber ich war auch einmal drin. EINMAL – egal. Jedenfalls – das Etablissement ist aufgezogen wie eine Arztpraxis. Man gelangt zunächst an eine Art Rezeption, zahlt die Praxisgebühr von 100 Euro und teilt mit, welcher Art die Gebrechen sind, die einen hierher getrieben haben. Mangel an
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