Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
für ihn musste es fürwahr einer sein -, 'Das war gut, mein Bester, GELDLOS hahaha!' – gibt einen Euro Trinkgeld, was so gut wie nie vorkommt und eilt der Unterführung entgegen, um seinen Bahnsteig und den Zug zu erreichen, ich nehme an den nach Berlin, denn dessen Einfahrt wurde just angekündigt. Was sagen Sie nun?“
Erst einmal gar nichts. Das bestätigte nur meine Befürchtung, hier sei ein abgekartetes Spiel im Gange, eine Verschwörung von Staatswegen. Mir war nach dem fünften Espresso, ich hielt mein Tässchen hoch und zwei Finger, denn auch Rath sah so aus, als könne nur noch Koffein die Bewegungen in seinem Gehirn steuern. Überhaupt war er auf einmal sehr blass geworden, der Schweiß, der sich in den vergangenen Minuten zurückgehalten hatte, brach wieder aus. Denn während ich die Getränke bestellt hatte, war ein neuer Gast erschienen, unauffällig, durchschnittlich, gesichtslos, mit einem „Bastel mir nen Ouzo, Schatzi“ in Richtung „Claudimausi“.
„Ist Ihnen nicht gut?“ fragte ich besorgt mein Gegenüber. Vielleicht waren die Biere und die draufgekippten Espressos oder Espressi doch zuviel für ihn gewesen. Er war jedenfalls so weiß wie die Wände meiner Wohnung, wenn ich mich endlich dazu aufraffen könnte, sie frisch zu streichen. „Ouzo“, murmelte er unter Mühen, „das stößt gerade wieder etwas an, etwas, das bei Ihnen und Ihrem Gespräch mit dem Journalistenimitat heute Mittag endet. Ouzo, ach mein Gott!“ Er erhob sich. „Ich entleere mich mal, vielleicht beruhigt mich das. Pardon.“ Und wankte den Sanitäranlagen zu. „Claudimausi“ stellte einen Ouzo vor den neuen Gast und die Espressotässchen auf unseren Tisch, beugte sich zu mir, sagte spöttisch: „Glauben Sie dem Günni kein Wort, der ist verrückt.“ Ich nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf, eine anatomische Meisterleistung.
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Mein Kopf schwirrte, wie der Dichter sagt. Nicht so wie der von Günther Rath, aber immerhin: Da wurden Plüschhandschellen in einen Bottich voller Ouzo getaucht und Sonja Weber kaufte geldlos Zimtschnecken in Buchhandlungen, es war ein irrer Wachtraum, zuviel Espresso, mein Blut blubberte wie durch die verkalkten Leitungen einer Kaffeemaschine.
Auch der Ouzotrinker hatte sich nach dem Schnapskonsum auf den Weg zur Toilette begeben, er trug einen Regenschirm bei sich und nickte „Claudimausi“ zu, die wieder auf ihrem Stühlchen Platz genommen hatte und in einen temporären Zustand der Versteinerung gefallen war. Ich betrachtete mir eine Weile ihre Füße, die in schwarzen Schläppchen steckten, das heißt, ich stellte mir ihre Füße vor, vom vielen Laufen platt geworden, die Fußgewölbe unter dem Körpergewicht in sich zusammengebrochen, und dauerte sie gar sehr. Man durfte hier nicht rauchen, natürlich nicht, und ich überlegte, ob ich nicht schnell zu den Aschenbechern vor dem Bahnhof eilen und dem dringenden Bedürfnis nach einer Zigarette seine Befriedigung zukommen lassen sollte.
Rath schien in ein größeres Geschäft verwickelt, der Mann mit dem Ouzo und dem Schirm auch. Der Schirm. Warum nimmt jemand seinen Schirm mit aufs Klo? Weil er befürchtet, er werde ihm sonst gestohlen? Konnte sein. Ich schaute zum Tisch mit dem einsamen und leeren Ouzoglas hin, aber so einsam war es gar nicht. Neben ihm lag ein Geldschein, ein Zehner, und es musste Zufall sein, dass „Claudimausi“ genau in dem Moment, da ich den Zehner bemerkte, seiner auch ansichtig wurde, die Augenbrauen hob, sodann den ganzen Körper, zum Tisch ging, den Zehner in die eine, das leere Gläschen in die andere Hand nahm, unschlüssig stehen blieb, sich zur Toilettentür drehte, dann zu mir und durch Schulterzucken zu verstehen gab, sie verstehe gerade gar nichts. Das einte uns. Aber ich begann zu verstehen. Möglicherweise zu spät.
In der Herrentoilette kam mir ein frischer Windstoß entgegen, ein Fenster stand offen. Und eine der beiden Kabinen war geschlossen. Ich klopfte dagegen, rief „Herr Rath!“, drückte die Klinke nach unten, die Tür gab nach, stieß jedoch, als ich sie öffnen wollte, schon bald auf ein Hindernis. Ich streckte meinen Kopf durch den schmalen Spalt und verschaffte mir Gewissheit. Das Hindernis hörte auf den Namen Günther Rath, doppeltes „th“, nein, jetzt geschah das, was in so gut wie jedem Krimi passiert, man korrigiert sich sofort, nicht „hörte auf“, sondern „hatte gehört“. Denn Günther Rath war tot. Ich bin kein Arzt, hatte aber keinen
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