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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Zweifel an meiner Diagnose.
    Rath lag vor der Kloschüssel, merkwürdig verrenkt, sein linkes Hosenbein war hochgerutscht, ein kleiner roter Punkt auf der Haut, wie ihn etwa die Spitze eines Regenschirms verursachen kann. In meinem Kopf spulte sich sofort ein Agententhriller ab, aber nein, mit vergifteten Schirmspitzen arbeitete man auch in der schnöden Realität, wie ich einmal gelesen habe, bulgarische Geheimagenten und so weiter. Ich stemmte mich gegen die Tür, Rath hielt unfreiwillig dagegen, ich verrenkte seinen Körper noch merkwürdiger und schaffte es schließlich, über ihn in die Kabine zu gelangen. Etwas hielt der Tote in der Hand, einen Zettel, neben der Hand lag ein Kugelschreiber. Ich nahm beides – noch war die Leichenstarre nicht eingetreten, noch leistete der Zettel keinen Widerstand – und steckte es ein, fühlte Raths Puls und fand ihn nicht, überlegte, was zu tun sei, dem offensichtlichen Mörder durch das Fenster zu folgen, nicht um ihn noch zu erwischen – dazu war es zu spät -, sondern mich selbst diskret vom Ort des Verbrechens zu entfernen.
    Eine Alternative gab es nicht. Zu „Claudimausi“ hinausgehen, „da drin liegt ein Toter“ mitteilen, auf die Polizei warten? Indiskutabel. Von einem Mann erzählen, der einen Ouzo getrunken und einen Regenschirm mit sich geführt hatte? Man würde mich auslachen, von wegen griechisches Getränk und Schirm, da dachte man sofort an die Eurorettung. Egal. Ich zwängte mich aus der Kabine hinaus, sagte Rath leise „adieu“ und sah mir das Fenster an. War zu schaffen.
     
     
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    Es sind die Frauen, die Männer vor großen Dummheiten bewahren. Um sie gleich darauf in noch größere zu verwickeln. Das ist historisch vielfach bewiesen, mir fiel gerade kein Beispiel ein, denn ich war äußerst verwirrt. Ich steckte in einem Fensterloch, hinter mir lag ein Toter in einer Klokabine, eine große Dummheit sollte also ihren Anfang nehmen und nun kommt eine Frau ins Spiel. Sie sagte: „Holla, was geht denn hier ab?“ Ich rutschte zurück in die sanitären Räumlichkeiten der Kaffeebar, drehte mich lächelnd um und sagte: „Liebe Claudimausi, da drin liegt ein Toter.“ Sie fiel nicht in Ohnmacht, schrie auch nicht, sondern sagte nur: „Kein Grund, die Zeche zu prellen.“
    Die ebenso aufmerksame wie misstrauische Claudimausi hatte mich vor einer Dummheit bewahrt, soviel stand fest. Denn warum hätte ich mich aus dem Staub machen sollen? Man würde feststellen, dass Günther Rath vermittels einer Attacke mit der vergifteten Spitze eines Regenschirmes ermordet worden war, Claudimausi konnte bezeugen, dass nicht ich, sondern der Ouzotrinker einen solchen mit sich geführt hatte, im WC und dann ganz verschwunden war, während ich... hm, na ja. Ich hatte eben aus dem Fenster schauen wollen, nichts weiter, vielleicht dem Täter nachjagen, schließlich bin ich ein geborener Held. Außerdem: Der Polizei würde ich die ganze Geschichte erzählen können, man musste mich ernstnehmen, der Sache nachgehen. Haken: Wenn alles von ganz oben inszeniert wurde, dann steckte möglicherweise auch die Polizei bis zur Halskrause mit drin. Solche Bedenken spielten nun aber keine Rolle mehr. Claudimausi hatte mich sozusagen ertappt, ging jetzt auch zögernd auf die nur einen Spalt geöffnete Toilettentür zu, streckte den Kopf hinein und zog ihn sofort wieder hinaus, fiel immer noch nicht in Ohnmacht, begann immer noch nicht zu schreien, sagte nur: „Das hat mir gerade noch gefehlt.“
    So kam es, dass ich eine halbe Nacht auf einem harten Stuhl auf dem schäbigen Flur eines Kriminalkommissariates verbrachte, Claudimausi – sie hatte selbstverständlich die Polizei gerufen – stoisch neben mir. Wir waren „Zeugen“, doch zumindest ich auch ein potentieller Tatverdächtiger, da machte ich mir gar nichts vor. Und man ließ mich schmoren. Für die Angestellte der Kaffeebar endete die Warterei nach zwei Stunden. Sie wurde in ein Zimmer gebeten, verbrachte doch eine weitere halbe Stunde, kam dann heraus, warf mir einen Blick zu, den zu deuten ich tunlichst unterließ, und trippelte von dannen. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie ihre Arbeitsschläppchen gegen hochhackige schwarzglänzende Schuhe ausgetauscht hatte. Sie machte sich die Füße auch gerne in ihrer Freizeit kaputt, wenngleich mit erotischeren Mitteln.
    Wenigstens hatte ich genügend Zeit, mir meine Aussage zurechtzulegen. Die flüchtige Bekanntschaft mit dem auf so tragisch-mysteriöse Weise Verblichenen, die

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