Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
mehr als vorher.
Worüber redete man? Über alles und nichts, nur nicht über Island und Jersey, Plüschosterhasen und sonstige Abenteuer. Was wird aus Mohamad und Mirjam? Kriesling-Schönefärb hatte versprochen zu „liefern“ und, bitte, der Mann war nicht die FDP, dem konnte man das zutrauen. Der Fernseher flimmerte weiter. Ein Toter auf einer öffentlichen Toilette, hier, in unserer Stadt. „Mach mal Ton an!“ Mit einem vergifteten Regenschirm, wie aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen... Wie alt ist der, wie heißt er, wie sieht er aus? „Moritz!“ schrie Hermine und kippte nach hinten. Gottseidank in die zufälligen Arme Marxers. Der schnaufte ob des Gewichts der Leblosen und dachte sich: Klein, Klein, was hast du wieder angestellt.
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Dann war es vorbei. Als hätte jemand, es ist Sonntag Punkt 21.45 Uhr, den Fernseher ausgeschaltet, nachdem der Tatort-Kommissar im letzten entscheidenden Verhör den Mörder mit seiner Tat konfrontiert und zum Geständnis bewegt hatte. Ich war bei meiner Aussage geblieben und verließ das Gebäude als freier Mensch, atmete die bitterkalte Luft, zollte meiner Sucht Tribut und bewegte mich, ein wenig schwankend, wie ich befürchte, durch die Straßen, dem Treffpunkt meiner Getreuen zu. Nein, es war nicht 21.45 Uhr, es war bedeutend später, aber noch nicht zu spät.
Natürlich hatten sie mir nicht geglaubt. Der mittelalterliche Beamte (Namen vergessen, ein Kriminalhauptkommissar, was mir schon immer wie Donaudampfschifffahrtskapitän geklungen hat) und die etwas abseits sitzende Dame im strengen Kostüm und mit dem jungfräulichen Dutt. Der erste quasselte, die zweite schwieg, war älter und wohl die ranghöhere Person, beobachtete mich genau, verzog keine Miene. Das ist meine Gegnerin, konstatierte ich instinktiv. Ich rasselte meine Geschichte herunter, ein Tonbandgerät rasselte getreulich mit und speicherte alles, die technische Ausgabe des verstorbenen Günther Rath, die kalte Version. Irgendwann begannen sich die Fragen zu wiederholen und mir war klar, dass sie mich jetzt in Widersprüche verwickeln wollten. Schafften sie aber nicht. Hoffte ich. Ich nahm mir ein Beispiel am Tonband, schaltete auf Repeat, wenn es notwendig wäre auch auf Endlosschleife, die ganze Nacht durch, mir doch egal. Soweit kam es nicht. Der Beamte seufzte schließlich, sagte „Gut, dann hätten wir das also“, seine Kollegin nickte kaum merklich und lächelte mir für die Zeitspanne eines flüchtigen Blickes zu. Pass auf, hieß das, ich weiß, dass du lügst.
Um die „Bauernschenke“ zu erreichen, musste ich am Bahnhof vorbei, der noch immer der erleuchtete Feenpalast war, der summende Bienenstock, der fidele Friedhof. Hier hatte Günther Rath gearbeitet, eine kleine Existenz hinter einer Brottheke, hier war er gestorben, ein erschöpfter Mann auf einem Herrenklo. Wie hatte ich ihn vorgefunden? Mit heruntergelassener Hose? Nein, das nicht. Völlig korrekt bekleidet, die Spitze des Regenschirms musste ihn erwischt haben, als er sein Geschäft schon beendet hatte, unter der Tür hindurchgeschoben, das Stück freie Haut am Knöchel anvisierend. Dann zustechen, der Schmerzensschrei Raths, ein schnellwirkendes, sogleich lähmendes Gift, das Opfer kann sich nicht mehr auf den Beinen halten, fällt um, stirbt qualvoll.
Und dann? Muss Rath noch Zeit gefunden haben, ein Stück Papier, einen Stift zu ergreifen, etwas aufzuschreiben. Ich griff in meine Tasche und fühlte beides, Papier wie Stift. Während meines Wartens bei der Polizei hatte ich den Zettel vorsichtig herausgezogen, hatte gelesen: „Ouzo Akropolis Agrar Rarität Täterätätä“. Eine Wortkette, phonetische Übergänge bis auf Ouzo und Akropolis, wo die Verbindung eine geografisch-landsmannschaftliche sein musste. Aber mit alledem konnte ich nichts anfangen, es erzählte mir nichts, es waren die Namen von Zetteln, die mit Raths Tod endgültig vernichtet worden waren.
Ich ließ den Bahnhof rechts liegen, begab mich in das Gewirr der kleinen Straßen rund um die Fußgängerzone, wich feierwütigen Partytieren aus, bannte eine finster dreinblickende Gestalt mit einem noch finstereren Blick. Komm mir heute nicht zu nahe, Bürschlein, sonst bröckelt dein Nasenbein schneller als du „Ey Alter, willst Streit?“ sagen kannst. Er trollte sich, ich trollte mich. Mir war kalt, ich zitterte, ich rauchte unablässig, aber Zigarettenrauch hat noch niemanden von innen gewärmt. Dann die vertraute Fassade der
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