Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
Höhe abfinden. Die Wirtschaft musste schließlich wieder auf Touren kommen, oder?
Das war verrückt. Nicht er war verrückt, die Welt war es. Und weil sie es war, wurde er es auch. Er brauchte eine Pause. Da – wieder ein Geräusch. Diesmal vorm Fenster, sogar eine kurzer Streit, Stimmen – entweder drehte er jetzt durch oder aber – Er stand auf, er musste nachschauen, Gewissheit haben. Öffnete seine Tür, trat auf den Flur, schrak zurück. Vor ihm stand Sonja Weber, in einem Hauch von Nichts von Nachthemd, transparent, ein Höschen darunter, sonst – Fehlanzeige. „Haben Sie – hast du das auch gehört?“ Kriesling-Schönefärb hörte fasziniert seiner Stimme nach, die nicht seine Stimme war. So hoch, so vibrierend. Sonja Weber sah ihn erstaunt an. „Was gehört?“ „Die Geräusche. Draußen. Vor meinem Fenster. Jemand hat etwas gesagt, jemand anderes geantwortet. Ganz gewiss.“
„Nein“, sagte Sonja Weber ruhig, sie habe nichts gehört. Sie habe nur Durst, sie könne nicht schlafen. Er offensichtlich auch nicht. Kriesling-Schönefärb machte einen Schritt zur Tür, Sonja Weber legte ihre Linke um seinen rechten Oberarm, flüsterte: „Bleib. Es ist nichts. Du bist nur müde, du brauchst Schlaf.“
Sie sah ihn an und Kriesling-Schönefärb wurde auf einmal hellwach. Sie verstärkte den Druck ihrer Finger, sie machte einen Schritt zurück, zog den Mann zu sich heran, machte noch einen Schritt zurück, noch einen. Ihr Schlafzimmer.
370
Während der Fahrt wurde das Ehepaar Sieglinde und Gernot Brachvogel gesprächiger. Vierzig Jahre im Dunstkreis untreuer Eheleute und entlaufener Teenager, hinterhältiger Industriespionage und, leider nur gelegentlich, krimigemäßen Schnüffels in mysteriösen Mordfällen, „1970, junger Mann, das waren noch ganz andere Zeiten, da war Ehebruch noch ein Kapitalverbrechen!“ Ich dachte mit Schaudern daran. „Man glaubt gar nicht, was man so alles erlebt in diesen diskreten Hotels, wenn die Mama mal fremdgeht und plötzlich zur Femme Fatale wird.“ Gernot Brachvogel schwelgte in Erinnerungen. „Und diese Verlockungen! Wenn wir gewollt hätten...“ “...hätten wir als Erpresser fein raus sein können“, ergänzte Sieglinde Brachvogel, „aber wir waren immer ehrlich, das können Sie uns glauben. Nicht wahr, Vika?“
Die outete sich als ehemalige Auszubildende in der Agentur Brachvogel, „erstes Haus am Platz“, wie Gernot stolz bemerkte. „Unsere Musterschülerin“ lobte der Alte und fügte, als Vika errötend zum Widerspruch ansetzte, hinzu: „Doch! Weil du alles mitbringst, was man in diesem Gewerbe braucht: Integrität und Disziplin, ein helles Köpfchen und das nötige Durchsetzungsvermögen, geistige wie körperliche Flexibilität und einen robusten Magen. Hab ich was vergessen, Sieglinde?“ „Schönheit“, sagte die. „Alles Eigenschaften, die ER nicht hat, weiß Gott nicht.“
Schnüffel. Ein weiterer Eleve der Brachvogels, wie ich staunend erfuhr. „Ja, schon, aber den haben wir nach drei Monaten wieder vor die Tür gesetzt. Ein schmutziger und unzuverlässiger Charakter, hat unsere Sekretärin geschwängert, wollte eine Kundin erpressen und überhaupt. Konnte froh sein, dass wir ihn nicht angezeigt haben!“
Aber hatte nichts geholfen. Da sich jeder mit gutem Leumund Privatermittler nennen kann, war Schnüffel in die Selbstständigkeit gegangen. „Ein Skandal“, zischte Gernot. Wir waren ihn los, aber die Welt hatte ihn weiter an der Backe.“ „Und Sie auch bald wieder“, schoss ich messerscharf ins Blaue (die Schrägheit meiner Bilder war mir vollkommen egal). Die Brachvogels nickten bitter. „1996, der Fall Diepenhorst. Banale Sache eigentlich. Unsere Klientin, eine Frau Juliette Diepenhorst, verdächtigte ihren Mann des Ehebruchs. Nicht unbegründet, wie wir schnell herausfanden. Er traf sich mit einer verheirateten Ulla Krings, beide schon älter, das typische Abenteuer, wenn man glaubt, etwas verpasst zu haben. Abgelegenes Hotel, jeden Freitagvormittag, dieser Diepenhorst war Versicherungsvertreter, die Krings Hausfrau, ihr Gemahl Regierungsrat im Innenministerium. „Und dieser Krings“, führte Sieglinde weiter aus, „hatte ebenfalls Lunte gerochen, was die eheliche Treue seiner besseren Hälfte betraf. War zu einem Kollegen gegangen...“ „Schnüffel“, schloss ich ein weiteres Mal messerscharf.
„Klar doch“, bestätigte Gernot. „Haben wir sofort gemerkt, der Bursche war schon immer ein hundsmiserabler
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