Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
getäuscht. „Wir holen noch jemanden ab“, sagte sie, „du glaubst gar nicht, wie vielen Kollegen es eine Herzensangelegenheit ist, mit diesem verfluchten Schnüffel abzurechnen. Vier Kanonen sind besser als zwei“. Auch das typische Westernmanier, dachte ich, war aber froh, dass wir Schützenhilfe bekommen würden.
Am Rand der Straße stand ein älteres Paar, erkennbar über 70. Vika bremste neben ihnen, vielleicht hatte sie sich verfahren und wollte nach dem Weg fragen. Tat sie aber nicht. Das Paar stieg wortlos ein, setzte sich auf die Hinterbank, der Mann brummte ein „Moin“, die Frau nickte nur. „Das sind Sieglinde und Gernot Brachvogel“, stellte mir Vika das Pärchen vor, „die Doyens der hiesigen Ermittlerszene, wie man so sagt“. Wieder brummte der Mann und die Frau sagte: „Ich hab schon fast nen Abgang, wenn ich dran denke, was wir gleich mit Schnüffel anstellen. Danke Schatzi, dass du uns an dem Spaß teilhaben lässt. Bist du auch vom Fach, Junge?“
Die Frage galt mir und verwirrt nickte ich. Stimmte ja auch. Irgendwie. „Nachwuchs“, kicherte Vika, die den Wagen nun endgültig stadtauswärts lenkte. Der Mann hinten brummte wieder, seine Frau wiederholte das Brummen, bevor sie sagte: „Hoffentlich habt ihr saubere Kanonen dabei. Schon ne Ahnung, was wir mit eventuellen Leichen machen? Hast ne Spedition beauftragt?“
Mir wurde angst und bange. Vika lachte nur. „Klar, hab ich. Lucie und Mechthild warten auf meinen Anruf und kommen im Fall des Falles zwanglos mit ihrem großen Lieferwagen vorbei. Ist nur bissel problematisch, bei dem Wetter Leichen im Weiher zu versenken. Sind ja alle zugefroren. Aber du kennst ja Lucie und Mechthild, denen fällt immer was ein.“
Mir fiel gar nichts mehr ein. Ich wurde fatalistisch, was ich schon immer gut gekonnt hatte, und ließ mich treiben. Genauer gesagt: Fahren. Einem ungewissen Schicksal entgegen.
369
War da nicht eben ein Geräusch gewesen? Im Flur, an der Tür, vor dem Fenster? Kriesling-Schönefärb hielt den Atem an, schloss die Augen, lauschte. Alles ruhig. Er war übermüdet und verwirrt, jetzt hörte er noch Geräusche, die keine waren, bald würde er Stimmen hören. So begann das Verrücktsein. Er brauchte Schlaf, aber er fand keinen.
Die Handakte der Bundeskanzlerin hatte er durchgearbeitet, sich Notizen gemacht, um so etwas wie einen roten Faden in der Hand zu haben, ohne den die Geschichte nicht funktionierte. Es gab Blätter mit handschriftlichen Aufzeichnungen, flüchtig hingekritzelte Stichworte, schwer, ja kaum zu entziffern. Immerhin vermochte Kriesling-Schönefärb nun den geplanten Ablauf der Aktion Geldvernichtung zu rekonstruieren, eine Parallelveranstaltung gewissermaßen. Während in Island unter Laborbedingungen die geldlose Ökonomie durchgespielt wurde, fuhr man im EU-Europa den Karren vollends in den Dreck. Eine Spekulationsspielwiese namens Rettungsschirm, auf der sich „die Märkte“ kurzfristig gesundstoßen konnten, dann Eurobonds, die keiner haben wollte. Deutschland wurde von den Ratingagenturen nach und nach auf Ramschniveau hinabgestuft, die Europäische Zentralbank sprang ein und druckte Geld, bis das Gespenst Inflation an die Tür des europäischen Hauses pochte und „huhu“ rief. Ein halbes Jahr würde das dauern. Genügend Zeit für die Spekulanten, eine Menge Schrottpapiere anzuhäufen, vom Staat entschädigt zu werden. Dann der Crash. Zuerst stürzt der Euro, dann das Geld überhaupt, es beginnt eine Phase der Tauschwirtschaft und der Schwarzmärkte, der Zigarettenwährungen. Europa wird islandisiert, hoffentlich waren bis dahin auf der Nordinsel verwertbare Ergebnisse registriert, nützliche Erkenntnisse gesammelt worden. Einführung einer Notwährung, Verabschiedung eines Nothaushaltes, die Spareinlagen gehen verloren (gut für die Banken), die Schulden werden abgeschrieben (gut für die Banken). Punkt. Das war wie nach einem Krieg – und dann konnte alles von vorne beginnen. Währungsreform. Der Euro wird wieder eingeführt, heißt aber anders. Eine Namensfindungskommission war schon eingesetzt worden, aktueller Vorschlag: MUNDO, denn die neue Währung sollte über kurz oder lang global gelten, von Feuerland bis zum Nordkap, von San Francisco bis Tokio. Jeder Weltbürger würde 40 Mundo (etwa 20 Euro) erhalten, nur die Schrottpapiere der Banken und Fonds und Spekulanten würde man zum Nennwert zurückkaufen, ebenso Immobilien- und Firmenvermögen unangetastet lassen und in voller
Weitere Kostenlose Bücher