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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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plötzlich öffnete sich die Tür des Hauses, ein Mann – doch, ein Mann, es konnte aber auch eine Frau gewesen sein – stürzte heraus, keine zehn Meter von mir entfernt, er oder sie sah kurz zu mir hin, so schnell, dass ich das Gesicht nicht erkennen konnte, dann rannte er oder sie über in die Straße zu einem Auto, dessen Scheinwerfer aufblendeten. Zugleich begann der Motor zu röhren, der Mann oder die Frau verschwand im Inneren des Wagens.
    Das konnte kaum Guido Westerwelle auf der Flucht vor seinen Parteifreunden sein. Der Wagen wurde aus der Parklücke gelenkt, der Motor heulte auf, die Reifen fassten mühsam Tritt, ein Monster mit glühenden Augen, das auf mich zukam. Stand ich auf der Straße? Auf dem Bürgersteig? Für den Fahrer des Wagens spielte das keine Rolle, er steuerte sein Fahrzeug auf mich zu. Meine Euphorie schwand schlagartig. Das hier war kein Kriminalroman, in dem der Protagonist nicht sterben darf, weil ihn der Autor durch eine ganze Serie schicken will. Ich würde sterben und ich tat, was man tun muss, wenn man zum baldigen Ableben verdammt ist, ich ließ den Film meines Lebens in einer Sekunde an mir vorbeiziehen, was immer noch genug war, um mich dabei gehörig zu langweilen. Dinge, die ich besser nicht getan hätte, Dinge, die ich gerne getan hatte, Dinge, die ich noch tun wollte. Zum Beispiel, fiel mir ein, mich sofort zur Seite werfen, in eine Schneewehe hinein etwa. Ich tat es. Mein Kopf verschwand in Nässe und Kälte, durch diese Watte hörte ich das Geräusch des Wagens angenehm gedämpft, ich hörte ihn sehr nahe, ich hörte ihn dann etwas entfernter, ich hörte ihn dann gar nicht mehr..
    Aber ich lebte noch. Kramte mich mühselig aus der Schneewehe, kam auf die Beine und schaute zur Tür des Hauses hin. Sie stand offen. Bei Lothar brannte Licht, immer noch. Alles war ruhig. Ich klopfte mir den Schnee von den Kleidern und stakste auf die Tür zu.
     
     
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    Treppen mag ich nicht. Das ist etwas für Karrieristen und solche, die es werden wollen, für Menschen, denen das Hochsteigen als quasi orgiastische Tätigkeit gleich nach der Gehaltserhöhung und dem Beischlaf kommt, in dieser Reihenfolge.
    Also hätte ich weglaufen sollen, nicht durch die offene Haustür treten, um mich der gefährlichen Welt eines dunklen Treppenhauses zu überantworten. Es war sehr still. Kein Fernseher murmelte, kein Baby schrie sich in den Schlaf, keine Ehekrise wurde verbalisiert, nicht einmal die obligatorische Oma schleppte sich aus Inkontinenzgründen aufs Klo. Meine Füße ertasteten jede Stufe, denn das Licht wagte ich nicht anzuknipsen, so stieg ich höher und höher, bis mich die offene Tür zu Lothars Wohnung zur Feier des Tages mit einem Schwung Birnenlicht empfing und „komm nur rein, hinter der Tür wartet einer mit dem Totschläger auf dich“ höhnte.
    Super, dachte ich und schob die Tür mit dem Fuß ganz auf, bis die Klinke mit der Wand dahinter handgemein wurde, wie es einmal bei Wieland geheißen hat. Etwas riet mir, nichts mit den Händen anzufassen, wiewohl keine Behörde dieser Welt stolze Besitzerin meiner Fingerabdrücke war, aber die entsprechende Hand hätte ich dafür auch nicht ins Feuer gelegt. Erst einmal stehen bleiben, tief ein- und ausatmen, die Luft anhalten, lauschen. Tickte irgendwo eine Uhr? Nein. Schnaufte jemand in einem Hinterhalt? Nein, hoffentlich nicht. Sollte ich jetzt „Hallo, ist da wer?“ rufen? Auch nicht, das vertretbare Quantum an „Hallo, ist da wer?“ befindet sich im Monopolbesitz deutscher Krimiserienschreiber und auf einen Copyrightprozess wollte ich es nicht ankommen lassen. So setzte ich still und vorsichtig Schritt für Schritt, kam dem Raum, in dem Licht brannte, immer näher und hoffte, es möge mich nicht das erwarten, was ich befürchtete.
    Im Wohnzimmer von Lothars Wohnung – die übrigens genauso bieder war wie die Georg Webers, so dass man, hätte Lothar Meier geheißen und nicht – hab den Namen schon wieder vergessen, getrost von einer Biedermeierwohnung hätte sprechen können, aber der Kalauer war natürlich unter meinem Niveau und jetzt muss ich erst einmal lesen, wie ich den Satz angefangen habe, ach so: Im Wohnzimmer von Lothars Wohnung sah es aus wie in meiner, wenn ich mich nach zwei Jahren dazu aufraffe, endlich aufzuräumen und zu putzen. Mit einem Unterschied: In meiner Wohnung liegt nur selten ein Mensch auf dem Teppich und blutet vor sich hin. Oder korrekter: Hat vor sich hin geblutet und jetzt nicht mehr, weil Tote

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