Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
Präsent der Zuneigung Jonas zu übereignen.
Wir quetschten uns zu dritt auf die Sitzbank und verließen den Ort unserer nächtlichen Arbeit. Ich spürte Regitzens Hand in der Jackentasche, „da hast deinen Fuffi, aber nicht gleich ins Puff gehen.“ Er lachte ordinär, Borsig fiel noch ordinärer ein.
So gondelten wir zurück in die Innenstadt, drei gutgelaunte Menschen, Stützen der Gesellschaft, Vorkämpfer für einen gerechten Mindestlohn, voller Verachtung für eine SPD, die sich mit lausigen Achtfünfzig zufriedengeben würde. In der Nähe von Sonja Webers Wohnung und „Bauernschenke“ stieg ich aus, verabschiedete mich von meinen neuen Kollegen, nicht ohne Regitzens „Mit dir kann man arbeiten, Junge!“ stolz abzunicken.
33
Vor der Tür zur „Bauernschenke“ standen zwei Männer und rauchten. Jeder hielt eine Leine in der Linken mit einem fetten Mops daran, der gedankenverloren in den wieder einsetzenden Schnee starrte. Ich ging grußlos an den Männern vorbei und bewunderte ihre Kleidung, viel zu weite Luxusanoraks mit der Aufschrift „St. Moritz High Society Club“.
Es war einiges los im Lokal. Meine Alten von vorgestern hockten an ihrem gewohnten Tisch und taten es den Möpsen nach, nur starrten sie nicht in den Schnee, sondern in ihre Biere. Irmi mit dem Kaninchenpelz war nicht anwesend, dafür hockten – ich zählte automatisch – zehn Herrschaften um den Stammtisch, auf dem ein hübsch geschmückter Christbaum stand, an dem bunte Zettelchen hingen. Acht Frauen und zwei Männer, einen erkannte ich sofort, es war Bio-Jürgen aus dem Naturkostladen. Ich winkte ihm zu, steuerte meinen bewährten Platz an, Jürgen schenkte mir die Andeutung eines Blickes und versuchte mich zu ignorieren.
Die Webersche Wohnung lag völlig im Dunkeln, was mich überraschte. Es war noch keine zehn Uhr, mithin nicht Schlafenszeit und dass Sonja Weber unterwegs sein sollte, wollte mir nicht einleuchten.
„Einen Glühwein“, bestellte ich bei Wirtin Helga oder Monika. Sie erkannte mich sogleich und lächelte mir zu, beugte sich etwas vor - ich plädiere für Dekolletepflicht bei weiblichen Servicekräften – und flüsterte: „Beachten Sie die Leute am Stammtisch am besten gar nicht. Das ist der VHS-Kursus ‚Weihnachtsmotive in der zeitgenössischen Kriminalliteratur’.“ Ich schluckte schwer und nickte der Wirtin komplizenhaft zu.
Am Stammtisch schwatzte es locker durcheinander und erst als einer der beiden Männer, erkennbar der Dozent, mit dem Löffel gegen sein Teeglas schlug, kehrte Ruhe ein. „Bevor wir zur Bescherung kommen, liebe Krimifreunde – hat jemand von euch ein neues Beispiel für Weihnachtsmotive in der zeitgenössischen Kriminalliteratur gefunden?“ Ein Fingerchen schnellte hoch und die daran hängende Frau rief so laut „Ich, Jochen!“, dass dem benachbarten Rentnertrio die Herzschrittmacher aus dem Takt kamen.
„Bei Claudia Pineiro, Die Donnerstagswitwen kann man nachlesen, dass in Argentinien um Mitternacht an Heiligabend ein Feuerwerk veranstaltet wird! Meistens auf dem benachbarten Golfplatz!“
„Wow“, machte Jürgen, „muss ich unbedingt lesen, Leanne.“ Die Angesprochene nickte in die Runde. „Wie viele Morde gibt es?“ wollte ihre Nebenfrau wissen, „drei, Federchen“, antwortete Leanne, „aber es ist kein normaler Krimi, also mit Ermittlungen pehpeh.“ „Ups“, sagte eine andere der Damen, „dann kann das nichts für mich sein.“ „Nee, lies ruhig, Ingrid, wird dir gefallen,“ sagte die Frau daneben und bekam ein „Na dann, Mistie“ zurück.
So verplätscherte eine Stunde, drei Glühwein füllten inzwischen meinen Bauch und wärmten nicht schlecht. Ich beobachtete weiter das Haus gegenüber, doch dort tat sich nichts, die Wohnung der Webers blieb dunkel, keine Sonja kehrte heim, kein Lothar schlich sich hinaus. Die Alten hatten bisher kein Wort gesagt, auch ihre regelmäßigen Nachbestellungen durch das Heben der Gläser veranlasst. Am Stammtisch war man dazu übergegangen, „zu wichteln“. Jeder pflückte sich ein Zettelchen vom Christbaum, auf dem Zettelchen stand ein Buchtitel, den nun jemand anderes aus der Runde schenken musste. Oder so ähnlich. Ich verstand es nicht ganz. Ein vierter Glühwein noch, dann würde ich zu Lothars Wohnung gehen, um endlich den Namen dieses möglicherweise merkwürdigen, möglicherweise auch stinklangweiligen und für meinen weiteren Lebensweg belanglosen Menschen herauszufinden. Helga / Monika hatte
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