Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
Küche stand noch Geschirr auf dem Tisch, sah nach flüchtigem Nachtessen aus, Teller mit den Resten einer Art Fleischgemüseauflauf, wahrscheinlich alles frisch aus eigenem Stall, eigenem Garten. Vika machte „puh!“ und hielt ihre Pistole in Richtung Tür, denn von dort war ein Geräusch zu hören gewesen, dessen Verursacher, schon etwas mühsam, nun den Raum betraten. Sieglinde und Gernot Brachvogel, Altdetektive, er ebenfalls mit Knarre, sie mit einem kleinen Beilchen bewaffnet. Ich hätte beinahe gelacht, aber mir war nicht zum Lachen zumute. Dennoch: Ich war erleichtert. Die Vögel schienen ausgeflogen zu sein. Nein, glaubte ich irgendwie nicht. Dazu lag zuviel Tragödie, zuviel Geheimnis in der Luft.
„An der Hintertür siehts aus, als hätten sie dort ein Schwein geschlachtet“, informierte uns Sieglinde Brachvogel und schaute instinktiv auf ihr Beilchen. Jetzt sahen wir auch, dass auf den Küchenfliesen vereinzelte dunkle Flecken waren, eingetrocknetes Blut wohl. „Alles durchsuchen“, sagte Vika und sofort schwärmte das Trio der professionellen Ermittler aus. Mir schwindelte leicht, ich setzte mich auf einen Stuhl, blickte über den Tisch mit seinen Zeugnissen einer vielleicht letzten genossenen Mahlzeit.
Wenigstens fünf Menschen hatten sich hier gestern Abend versammelt, hatten zusammen gegessen, zusammen geredet, sich vielleicht gestritten. Dann war etwas geschehen, Blut auf dem Boden, noch mehr Blut an der Hintertür. Ich hatte das Gefühl, mitten in einen Krimi von Henning Mankell geworfen worden zu sein, Massenmord als selbstverständliche Zutat zu meinem Leben. Ich wollte da raus. Abhauen. Nichts mehr mit allem zu tun haben. Ins nächste Reisebüro gehen, vier Wochen, nein, acht Wochen Überwintern auf Malle buchen, lange Spaziergänge am Strand, schon am frühen Morgen mein Handtuch auf der besten Liege am Hotelpool parken, damit die Engländer, die Ausbeuter der europäischen Idee, diese Idioten des Finanzmarkts, wieder etwas hatten, worüber sie sich empören konnten. Der ganz normale Wahnsinn. Nicht den hier. Nein, nein.
*
Der Konrad! Das war der Konrad! Blutete wie ein Schwein, Platzwunde am Kopf, taumelte benommen in den Flur, an Irmi vorbei, als sehe er sie gar nicht. Sagte dann aber: „Irmi, Irmi, hilf mir, ich sterbe!“ Irmi schnaufte. Männer! Platzwunde! Sah sie auf den ersten Blick: Recht harmlos. Leichte Gehirnerschütterung, okay, das mochte noch angehen. Aber sonst? Der Kerl hatte einen Schock. Woher hatte der einen Schock? Sie seufzte. „Komm mit ins Bad, dort hab ich meinen Erste-Hilfe-Kasten.“
375
Als uns Irmis Anruf erreichte, hockten wir gerade um den Küchentisch und ratschlagten. Blutspuren, verschwundene Menschen, Kühe und Schweine, die inzwischen ihre Schweigsamkeit beendet hatten und nach Atzung brüllten. „Müssen wir halt ran“, waren sich die Brachvogels einig gewesen, robuste Nachkriegsgeneration eben, und so schaufelten wir Stroh und Heu, Sieglinde Brachvogel bekannte sich zu einer bäuerlichen Jugend und melkte die Kühe mit erstaunlicher Routine. Danach stanken wir so, wie Schweine niemals stinken können, kochten uns Kaffee und, tja, ratschlagten eben. Das heißt: Wir hockten rum und schwiegen. Bis Vikas Handy klingelte.
Nach einer langen Reihe von „ahs“ und „ohs“ und „glaub ich jetzt nicht“ sagte Vika: „Tschüss, Irmi, ich komm gleich vorbei“ und sah uns an. Wir sahen zurück. „Irmi hat Besuch. Diesen Konrad aus der Kommune hier. Jemand hat ihm was auf die Rübe gegeben, der Bursche ist völlig traumatisiert und murmelt nur wirres Zeug. Irmi hat Oxana angerufen und die hat ihr gesagt, sie soll mich anrufen und Oxana und ich, wir treffen uns gleich bei Irmi. „Oh, oh“, duettierten die Brachvogels, „da wären wir gerne dabei.“ Ging aber nicht. „Wir setzen uns mal auf die Spur von Schnüffel. Bisschen in seinem sozialen Umfeld graben. Irgendwas werden wir da schon finden – und wenn's die Leiche von diesem Typen ist.“ Die Brachvogels hatten Humor.
Wir fuhren zurück in die Stadt. Parkten den Wagen dort, wo wir ihn vorgefunden hatten, er werde diskret abgeholt, versprach das Detektiv-Ehepaar und verabschiedete sich. „Willst du wirklich allein zu Irmi? Soll ich nicht mitkommen? Wenn du hingehst, haben dich die Bullen im Visier.“ „Eben“, sagte Vika. „Das lässt sich nicht ändern, aber du musst ja nicht auch noch auf den Schirm von denen kommen. Schleich dich zu deiner Hermine, peil die Lage,
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