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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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etwas weniger gewalttätige Ideologie.“ Sie gingen wieder in die Küche, tranken Kaffee, warteten. Es tat sich nichts.
    „Heute Abend bin ich mit Moritz beim Karneval“, sagte Vika, um überhaupt etwas zu sagen. Sie konnte kaum sitzen, Oxana erging es genauso. „Beim Karneval?“ fragte sie und gab sich selbst die Antwort. „Ach so, ja, dieser Faschingsprinz.“ Irmi schaute von einer zu anderen, das war kaum noch zum Aushalten. Sie stand auf, „ich seh mal nach Konrad“, Konrad schlief und schnarchte, nicht das Schlechteste. Wieder zurück. Die Mädels rutschten auf den Stuhlen rum, das hatte Irmi zuletzt 1974 bei sich beobachtet, das letzte Zucken der Hormone, gewissermaßen. „Ich geh mal einkaufen. Bin bestimmt ne gute Stunde weg. Konrad pennt, der wird auch nicht wach, wenn ein Flugzeug aufs Dach fällt. Soll ich euch was mitbringen? Bleibt ihr zum Essen? Also, äh, ich bin dann mal weg.“
    Draußen. Puh. Also mehr konnte sie jetzt wirklich nicht für die Mädels tun. Umgucken. Stand niemand Verdächtiges in der Nähe, niemand folgte ihr. Das hätte Irmi beruhigen müssen, gefiel ihr aber nicht. Wenn es uninteressant geworden war, die Gruppe im Auge zu behalten, musste irgendwas passiert sein. Wenn etwas passiert war, konnte man nur beten. Stillstand. Sie sehnte sich nach Stillstand. Nach zwei Fingern, die den Uhrenzeiger festhielten.
     
     
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    Es soll ja Romane geben, in denen sich die Protagonisten einfach weigern mitzuspielen. Sie sagen „So, das war's“ und beginnen zu streiken, tun nichts mehr, lassen den roten Faden der Geschichte fallen, beglücken sich mit Gedächtnisverlust und widmen sich den anderen, den schönen Dingen des Lebens, über die nur tantige Bestselleristinnen und Bestselleristen noch Romane schreiben würden. Oder sie legen sich ganz einfach ins Bett und blenden alles aus, was auch nur entfernt nach Geschichte – der großen wie der kleinen – riecht. Genau das tat ich.
    Der Nachmittag zog an mir vorbei wie eine öde, unsichtbare Zeremonie, wie früher das Hochamt in der Kirche, wo man uns Schüler in die Bänke gepresst und zu Verrenkungen – aufstehen, sitzen, knien, Hände falten, Choräle singen – genötigt hatte. Man hockte auf seinem harten Sitz und dachte an etwas anderes, an das nachmittägliche Kinderprogramm im Fernsehen, an das Spielen auf dem Bolzplatz – und dann war der Gottesdienst vorbei, man hatte teilgenommen und nichts davon gemerkt. So erging es mir jetzt. Ich nahm teil, etwas passierte mit mir, aber ich wusste nicht was. Sorry, aber ich war aus dem Spiel. Ein nichtdenkender Protagonist, um den herum die Handlung waberte, von dem sie abprallte wie Wasser von – was auch immer.
    Dann wurde ein Schlüssel in der Wohnungstür gedreht, weibliche Schritte auf dünnen klackenden Absätzen. Vika schaute ins Zimmer, sah mich rücklings auf dem Bett, ich blieb bewegungslos, sie sagte nichts, ich sagte nichts, sie schaute mich nicht an, sie ging, sie verschwand im Badezimmer, eine weitere Stunde verstrich, in der man Wasser- und Reinigungsgeräusche vernahm. Draußen war es dunkel geworden, keine Ahnung, was die Uhr sagte. Ich hatte mir vorgenommen, auf das Geschwätz von Uhren nicht mehr zu reagieren, sie sollten ganz einfach die Schnauze halten.
    Vika war keine Uhr. Sie sagte: „Is was? Depri? Oder denkst du einfach nur nach?“ Was hätte ich ihr antworten sollen? Sie war ein Teil der Geschichte, in der ich nicht mehr mitspielte. Ich weigerte mich, sie anzuschauen, aber natürlich tat ich es dann doch. Ich wandte ihr mein Gesicht zu, ich registrierte in dem ihren die Spuren von Befriedigung, über deren Quelle ich mir keine Illusionen machte. Oxana, natürlich. Und die blaue Lederhose erst. Der Fall war klar, sonnenklar.
    „Redest du nicht mehr mit mir? Was ist los? Du solltest dich so langsam fertig machen, wir wollen doch zu dieser Karnevalssitzung, oder?“ Das „oder“ gefiel mir. Genau. Oder. Ich nehme das Oder und bleibe zuhaus, ich bleibe hier liegen, ich stehe nicht mehr auf, spielt halt ohne mich weiter und haltet mich bloß nicht auf dem Laufenden.
    Genau das aber tat Vika. Sie setzte sich auf den Bettrand und begann zu erzählen, die offizielle Geschichte, of course, jener bemitleidenswerte, vielleicht aber auch ganz und gar nicht bemitleidenswerte Konrad, dessen Verwundung sich tatsächlich als simple Platzwunde herausgestellt hatte, der aber nach wie vor außer einigen Wortsplittern nichts aus sich heraus ließ. Dass diese Irmi wirklich

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