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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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ernsthafter Gedanke. Ich brummte ein Ja. Warum war ich so schlecht gelaunt? Der Hormonspiegel lag doch sozusagen geglättet wie eine Eins. Ich hatte noch genügend Geld für Zweitfrühstücke, der Himmel war aufgeklart, Deutschland stand noch und bezahlte mit dem Euro, die Binnennachfrage fragte fleißig nach und ich hatte Jonas erfolgreich um einen Zwanziger für den zweiten Koitus beschissen. Kein Grund, mürrisch zu sein. Also.
    „Also dieser Karl-Heinz“, begann Borsig und legte mir ein leicht angebranntes Brötchen auf den Teller. „Ich geb mich als Künstler aus, der in Schrottskulpturen macht, meine Tarnung ist ja perfekt, wo ich jetzt schließlich in einer Künstlerinnenkolonie wohne“. Wieder etwas, das nicht witzig war, aber im Grunde keine schlechte Idee.
    „Schrott passt zu dir“, konnte zu sagen ich mir nicht verkneifen. Borsig verzog säuerlich den Mund. „Wenn das eben witzig gewesen sein soll, dann schreibs zukünftig bitte dran, damit ich’s weiß.“ „Scherz“, sagte ich, „ja, ja“, sagte Borsig. „Du bist heute schlecht gelaunt, ich verzeihe dir. Dafür zahlst du aber, ja?“ Ich hatte es nicht anders vorausgesehen und winkte dem Fräulein. Reichte ihr einen Hunderter, sagte „machen Sie 21“, das Fräulein räusperte sich verlegen. „Haben Sie das Geld nicht passend? Wir haben heute Morgen bei der Bank kein Wechselgeld gekriegt, überhaupt hat hier kein Geschäft heute Morgen Wechselgeld gekriegt, nirgendwo, in keiner Bank.“
    Borsig und ich sahen uns verblüfft, aber im Grunde nicht sehr überrascht an. DAS war jetzt mal witzig! So langsam kam das Maschinchen in Fahrt, begann der Prozess der Entwöhnung der Bevölkerung von ihren vertrauten Zahlungsmitteln. Ab morgen würden wir wohl ein zweites Frühstück gegen unsere dritten Zähne eintauschen müssen oder so.
    Ich fand gottlob einen verborgenen Zwanziger und eine Ein-Euro-Münze in meinem Schlüsseletui. „Die Sache sollten wir im Auge behalten“, sagte Borsig beim Abschied. Ich nickte. Schwer grübelnd schritt ich heimwärts, das heißt meiner russischen Gastwohnung zu. Verfolgt wurde ich nicht, ich passte auf. Es schien so, als hätte die Staatsmacht jegliches Interesse an uns verloren, ein Rudel Fliegen, das man mit einer Handbewegung vertreibt und dann vergisst. Das war kein gutes Zeichen. Das war, so sehr ich es auch genoss, irgendwie überhaupt nicht witzig.
     
     
    398
    Sie log. Sonja Weber log. Es strahlte aus ihrem Gesicht, es drang durch die Poren der Haut in Vikas Innerstes – klang vielleicht blöd, war aber so, sie spürte es körperlich, fühlte sich unwohl, registrierte einen Brechreiz, eine aufsteigende Aggression. Sonja Weber, die im geblümten Nachthemd wie die reine Unschuld vor ihnen saß, deren roten Augen man ansah, dass sie geheult hatten, diese Sonja Weber machte ihnen etwas vor. Ob Oxana das auch merkte?
    Oxana hatte ihre Hand beruhigend auf Sonjas Schulter gelegt, diese sogar leicht gestreichelt. „Jetzt erzähl doch mal der Reihe nach, Schätzchen. Ihr seid also gestern Abend ins Bett gegangen.“ Wie das klang! Aber natürlich, kein Zweifel: Sie waren in EIN Bett gegangen. Sonja nickte. „Ja, sind wir. Und heute Morgen wach ich auf und er ist nicht mehr da. Ich dachte: Er macht Frühstück. Er ist im Bad. Er ist vielleicht auf einem Morgenspaziergang. Aber das alles war er nicht. Er war – einfach weg.“
    Ohrfeigen. So lange, bis sie mit der Wahrheit herausrückte. Vika riss sich zusammen. Ohrfeigen musste man dann auch andere, die immer nur zugaben, was man ihnen gerade nachgewiesen hatte. Aber vielleicht war es auch so, dass Lügen zu gewissen Berufen gehörten, eine Art Qualifikationsnachweis darstellten. Nicht so bei Sonja Weber. Deren Beruf war es nicht, sie ständig hinters Licht zu führen. Und das tat sie, mit allen Mitteln arbeitend, ihren Körper einsetzend. Eine Nutte, ganz einfach.
    „Und du hast nichts gemerkt? Dir ist nichts Ungewöhnliches aufgefallen?“ Oxana war zu bewundern. Sie blieb beherrscht und geduldig, sachlich und beinahe zärtlich. Noch immer lag ihre Hand auf Sonjas Schulter. „Nein“, antwortete Sonja. „Mir ist nichts aufgefallen. Ich habe doch geschlafen. Ich wache auf und...“ Jetzt rang sie um Fassung, ha! Eine großartige Schauspielerin! Schauspieler dachten, wenn sie drehbuchgemäß weinen mussten, an irgendwelche traurigen Dinge, sie steigerten sich hinein. Hungernde Kinder in Somalia, die drei Kilo zuviel um die eigenen Hüften – solche

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