Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
Katastrophen halt. Und dann konnten sie weinen. Sonja Weber konnte es auch. Dauert nicht mehr lange, dachte Vika, und ich flippe aus und scheuer der eine.
Stattdessen stand sie auf und inspizierte das Zimmer. Was auch immer passiert war – es WAR etwas passiert. Es musste Spuren geben. Oder das, was passiert war, war irgendwo anders passiert. Nichts. Weder Blut noch Kampfspuren, keine Schleifspuren... Vika ging auf den Flur, Vika ging in die Küche, wo die andere Frau saß, die Hausherrin, eine gewisse Maya. Sehr bieder, sehr naiv. Sie saß am Tisch und rührte mit einem blinkenden Löffel in einer Kaffeetasse.
„Hallo“, sagte Vika, „hallo“ antwortete Maya und lächelte. „Ist dir auch nichts aufgefallen?“ Maya brauchte nicht lange zu überlegen. „Nee. Ich hab einen prächtigen Schlaf, das glaubst du gar nicht. Die arme Sonja! Die beiden schienen so glücklich. Aber vielleicht klärt sich alles bald auf, vielleicht ist alles ganz harmlos.“ So wie sie es sagte, glaubte sie es selbst nicht. Sie rührte weiter in ihrem Kaffee.
Man beließ die verzweifelte – nie waren Gänsefüßchen angebrachter – Sonja Weber in Mayas Obhut, trat wieder ins Freie, schweigend, ging Richtung Dorf, wo das Auto etwas abseits geparkt worden war. „Glaubst du ihr?“ fragte Vika vorsichtig. Oxana antwortete nicht sofort. Sie schloss den Wagen auf, setzte sich hinein. „Nein“, sagte sie schließlich. „Du ihr doch auch nicht, oder?“ Vika zog es vor, nicht zu antworten, was auch eine Antwort war. Oxana startete den Motor.
Sie fuhren zügig durch das recht stille Großmuschelbach, in dem man noch Räusche ausschlief. Wenige Menschen nur auf den Straßen. „Halt an!“ zischte Vika plötzlich. „Fahr noch ein Stück und dann fahr ganz normal an den Bürgersteig.“ Sie schaute in den Rückspiegel.
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„Coooool“, dehnte Laura bewundernd. Das war aber auch zu geil! Ein Geheimgang, der von einer unscheinbaren Litfaßsäule in einer einsamen Ecke am Rande des kleinen Parks bis zu Konsul Brugginks Villa führte! Katharina hatte, sich nach allen Seiten umschauend, einen geheimen Mechanismus ausgelöst, ein Summen zunächst wie von der Tür eines Fahrstuhls und tatsächlich war auch hier gleich darauf eine Öffnung in der Säule sichtbar geworden. Nicht groß, nicht hoch, aber groß und hoch genug. Im Inneren der Säule war eine Bodenplatte angehoben worden, unter der Stufen hinabführten in einen schmalen Gang. Sogar kleine Taschenlampen waren vorhanden. „Coooool": noch einmal Laura.
„Jau": Katharina. „Hab ich mal zufällig entdeckt. Geil, oder? Kommst direkt bei uns im Keller raus.“ Sie tappten vorwärts. Konnte es hier igittes Viehzeug geben? Ratten, Kakerlaken – Schlangen? Laura wagte nicht zu fragen, schlimm genug, dass sie daran dachte. In den Abwassersystemen deutscher Kommunen tummelten sich ja schon Alligatoren und exotische Riesenspinnen, wer, zum Beispiel als Hartz-IV-Empfänger, Tiere in freier Wildbahn beobachten wollte, konnte sich das Geld für Zoobesuche sparen und musste nicht unbedingt Krimikritiker sein, dem Verlage schöne Safaris in Afrika spendierten. Nein, sich ablenken. „Was willst du eigentlich in eurer Villa, Kati?“
So genau wusste die das auch nicht. Paar Klamotten holen. Den iPod mitnehmen und überhaupt mal nach dem Rechten gucken. Nein, sie mochte ihren Vater nicht. Wie der ihre Mutter behandelt und abgeschoben hatte! Wie er seine Tochter als Investition in die Zukunft betrachtete, irgendwie vorteilhaft zu verheiraten, als wäre man im Orient oder Mittelalter oder beidem. Zu kalt, zu abwesend, zu besitzergreifend. Und immer dieser Ehrgeiz! „Wer nur kleine Schweinereien auf dem Kerbholz hat, wird Bundespräsident, wer die großen Schweinereien bevorzugt, kann es zum Weltherrscher bringen.“ Solche Sprüche halt – und er meinte sie ernst. Er selbst lag irgendwo dazwischen und jetzt hockte er in einem Knast, wurde womöglich gefoltert oder war schon tot. Dieser Gedanke berührte Katharina unangenehm. Empfand sie am Ende doch etwas für dieses Vatermonster? Hing das mit den Genen zusammen oder doch nur dem Katholizismus? Sie verscheuchte den Gedanken. Endlich, da vorne war schon die Tür zum Keller. Sie sagte „So, geschafft“ und hörte Laura aufatmen. Doch keine Schlangen.
„Ihr wartet hier mal.“ Ließen sich die beiden Pimpfe nicht zweimal sagen. Heizungskeller. Spinnweben hingen runter, große schwarze Netze. Okay, aber besser, als raus zu gehen.
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