Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
dachte nicht daran, mein Bett für die Selbstdarstellung dieses Autordarstellers zu verlassen. Ich tat es dann doch. Essen und Trinken sollten heute Abend nämlich umsonst sein, ein immer wieder schlagkräftiges Argument.
„Ach Gottchen“, sagte Oxana und rührte in einer Pampe, die als irgendein Nationalgericht serviert worden war und besser schmeckte als sie aussah. „Ich hab Sonja erst mal mit zwei Beruhigungspillen ins Bett gesteckt und zwei russischen Bekannten aufgetragen, sich unauffällig in der Nähe des Hauses aufzuhalten, von wegen Security und so. Obwohl ich fast davon überzeugt bin...“ Brauchte sie nicht auszusprechen. Davon waren wir eigentlich alle überzeugt. Nur Borsig nicht, der im Kreise seiner gewaltigen Bildhauerinnen hockte, ebenfalls in der Pampe rührte und auf dessen Stirn in Leuchtschrift „Schnitzel!“ geschrien wurde.
„Die ist doch auch nur ein Opfer“, sagte der menschenfreundliche kleine Mann. „Die wirklichen Schweine wie dieser Karl-Heinz, DIE müssen wir zu fassen kriegen!“ „Ja“, ergänzte Vika, „und endlich rausfinden, was mit dem Herrn Kriesling-Schönefärb geworden ist.“ Da schwiegen wir eine lange Sekunde lang betreten. Stimmte schon. Wir hockten hier und siegesfeierten – derweil der junge Kerl bereits als wohlverschnürtes Paket in irgendeinem Binnengewässer vor sich hin wasserleichen mochte.
Meister Marxer focht das nicht an. Er schwadronierte zum wiederholten Male auf besonderen Wunsch der anwesenden Jugend – „Erzähl noch mal die Story mit der Schreckschusspistole, Onkel!“ – über „sein“ Abenteuer. Jonas, der dem alten Regitz einen Stiftzahn entfernt hatte, wartete nur auf den günstigsten Moment, um zu übernehmen. „Also, ne, ich also so: Dem Alten hau ich jetzt aber ma was vor die Kauleiste, also ich mein so richtig mit Schmackes.“ „Cool“, sagte Laura.
Wir hießen die Wirtszwillinge den Fernseher einschalten, man musste schließlich weltpolitisch auf dem Laufenden bleiben. Aber war nicht viel. Der Bundespräsident hatte ein paar mittlere Katastrophen bestellt, um von seinen Merkwürdigkeiten abzulenken, ein untergegangener Dampfer, ein herabgestuftes Frankreich, Deutschland spielt Handball und im Biathlon trafen unsere wieder mal die Scheiben nicht. Kein Wort über Island, kein Wort über Geld, kein Wort über kein Geld.
„Unsere Presse versagt total!“ Dekretierte Irmi und erntete Zustimmung. Ihren Schützling hatte sie daheim gelassen, „dem Konrad trau ich nicht übern Weg. Man ist einfach zu mildtätig, aber morgen schmeiß ich ihn raus.“ Auch dem stimmten wir zu. Er hatte sich immer noch nicht an Details erinnern können, seine Hofgenossen inklusive Detektiv Schnüffel blieben wie vom Erdboden verschluckt, der uns leid tat, weil er solche Kotzbrocken verzehren musste.
„Tja“, setzte Marxer zum nun gewiss zehnten Male an, „ich also mit der Schreckschusspistole und sage ganz lässig...“ Tja, dachte ich, ich also vorhin im Bett und dachte ganz lässig: Bleib liegen, Alter, du ärgerst dich heute nur. Aber Hermine halt. Sie war wieder schwer am Bedienen, Rentnerstammtisch UND Krimirunde. Machte sie prima. In freien Momenten kam sie bei mir vorbei, fuhr mir kraulend durchs Haar, was in Jonas' Augen sofort den 20-Euro-Blick brachte und ihn zu der Bemerkung anstachelte, der Moritz habe sich im Bergwerk ja nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Marxer kicherte hämisch. „Na ja, Junge. Ohne seine dumme Bemerkung hättest du aber nicht die Gelegenheit gehabt, dem Dicken eins aufs Maul zu geben.“ Danke, Marxer.
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„Sie mögen diese Strafe als ungerecht empfinden“, sagte der Mann hinter dem Schreibtisch. „Warum ich? Warum mir? Warum nicht anderen? Gibt es eine Gerechtigkeit?“ Er redete wie ein Priester, aber vielleicht war es auch notwendig, denn Kriesling-Schönefärb, der Delinquent, war auf seinem Stuhl zusammengesackt wie ein schlecht behandelter Hefeteig. „Aber es gibt so etwas wie höhere Interessen, mein Freund, Interessen, die es nicht mehr erlauben, Rücksicht zu nehmen. Sie wissen das doch. Sie kennen doch das politische Geschäft.“ Kriesling-Schönefärb reagierte nicht. In ihm hallten noch immer die Worte des Mannes.
„Ich muss Ihnen leider folgendes mitteilen, Herr Kriesling-Schönefärb: Durch ihr Verhalten haben Sie der Bundesrepublik Deutschland und ihren Repräsentanten Schaden zugefügt, wohlwissend um diesen Umstand und trotz mehrfacher Ermahnungen, ja, trotz der Bereitschaft,
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