Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
Nicht-EU-Ausländerin, könnte man auf der Stelle ausweisen, ist aber - siehe Bundeskanzlerin, siehe Umarmungsstrategie – gerade politisch nicht opportun. Die Dame hat irgendwie einen dubiosen Anstrich, Kasachin eben, also Russin, also Prostitution. Aha, sehe: lesbisch auch noch. Gibt es schon eine Gleichstellungsstelle für Lesben im Familienministerium oder so etwas? Müsste man sie vorher natürlich einbürgern, aber easy, kein Problem. Mal notieren, aber noch mit Fragezeichen dahinter.
Dieser Borsig. Hach, hach! Scheint so der Typ grenzdebil, ist auch Schalkefan, das sagt schon alles. Mit einer isländischen Bildhauerin liiert – okay, für die besorgen wir einen fetten Auftrag „Kunst im öffentlichen Raum“, so eine gigantische Penisdarstellung vor der Großklinikum Oberhausen oder was. Borsig eher der Typ Würstchenbude, mal sehen, ob wir ihm einen preisgünstigen Pachtvertrag zuschanzen können.
So, Feierabend für heute. Das obligatorische Seufzen. Nein, schmeckte ihm immer weniger, die Sache. Okay, man musste vorsichtig sein in diesen turbulenten Zeiten. Nichts hatte mehr Bestand, alles konnte falsch sein, was früher richtig gewesen war. James-Bond-Spielchen mit Killernazis, das empörte plötzlich die Leute. Ein paar Milliarden in dunklen Kanälen brachte ihr ganzes Leben lang unpolitische Omas auf die Straße, sie stellten sich sogar vor Wasserwerfer und warfen mit Kastanien auf Polizisten. Gott sei Dank, in vier Jahren wäre alles gelaufen, die Pension winkte. Schon mal prophylaktisch zurückwinken.
Immerhin war dieser Moritz Klein versorgt. Alles bereits in die Wege geleitet, nur noch das Büro fehlte. Irgendwo an der Peripherie, möglichst unauffällig. Dumm nur, dass man so etwas an die Presse geben musste. Einige Journalisten würden sich nicht entblöden, nachzufragen. Da musste einmal noch was einfallen.
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Das Ganze musste ein übler Scherz sein. Moritz Klein, der Bundesbeauftragte für Bürgerglück? Genauso gut hätte man Herrn zu Guttenberg zum neuen EU-Beauftragten für das Copyright im Internet nehmen können. Was hatte ausgerechnet ich mit GLÜCK zu tun? Ich hatte das Glück gehabt, meine Geburt zu überleben, was ich heute als dankbaren Anlass nahm, mich darüber aufzuregen, meine Geburt überlebt zu haben. Ich war Zeit meiner Existenz zum Musterbeispiel erkoren, dass wer kein Glück hat irgendwann auch noch Pech hat. Wenn es auf dem ganzen Planeten nur einen einzigen Hundescheißehaufen gäbe – ich würde hineintreten.
„Glückwunsch“, sagte Borsig mit einer für ihn eher untypischen Brise Ironie. „Verkneif dir deinen subtilen Humor“, fuhr ich ihn an, „du denkst doch nicht etwa, ich hätte davon gewusst?“ „Das ist indirekte Rede, das muss 'ich habe' heißen.“ „Leck mich, du Klugscheißer“, fuhr ich ihn noch einmal an, „der Umgang mit akademisch gebildeten Künstlerinnen bekommt dir nicht. Außerdem wird durch die Negation der Konjunktiv ausgehebelt und durch das Konditional ersetzt.“ „Selber Klugscheißer“, konterte Borsig, „aber nee, ich denke gar nichts. Ich bin eigentlich nur hier, damit du mich glücklich machst.“ Er gackerte wie ein Huhn auf Dope.
„Wenn du Glück dabei empfindest, ein paar schöne Schläge in die Fresse zu kriegen, kann ich prompt damit dienen.“ „Nee“, wehrte Borsig ab, „lass man. Ich bin gerne unglücklich. Und jetzt? Wie weiter? Nimmst du an?“
Was war das für eine Frage! Natürlich nicht! Ich mochte ein Idiot sein, aber ich verfügte über ein halbwegs funktionierendes Gedächtnis, ich hatte die Toten in Erinnerung, die im Laufe dieser Sache zu beklagen gewesen waren, all die Hinterfotzigkeiten, die menschenverachtenden Theorien, den ganzen politischen Krempel halt. Gut, ich war käuflich. Ich war Teil einer Marktwirtschaft, die auf den Gesetzen von Angebot und Nachfrage basierte, ich musste essen und mich kleiden, ich musste wohnen und überhaupt eine ganze Menge Dinge tun, für die mir andere Geld abverlangten. Aber ich war zum Beispiel nicht titelsüchtig. „Bundesbeauftragter für Bürgerglück": das machte sich gut auf Visitenkarten, auf einem goldenen Schild an der Tür. Mehr auch nicht.
„Du lehnst also ab?“ „Ich hoffe, deine Frage ist rhetorisch“, hoffte ich einen strengen Blick in Borsigs Visage. Die wirkte mimisch unschlüssig. „Also ich könnte dir das nicht übel nehmen, wenn du... versteh mich nicht falsch, aber... Wenn mir einer eine Pommesbude anbieten würde, so ne ganz
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