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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Ihnen zu verzeihen. Getrieben von einem falschen Gerechtigkeitsgefühl und, wie Sie nicht bestreiten können, schnöden Fleischeslüsten haben Sie als Mitglied des Think Tank der Bundesregierung Verbrechen der schlimmsten Art begangen, Verbrechen, die im Diebstahl der Handtasche der Bundeskanzlerin gipfelten, einem Einzelstück nebenbei, eigens nach den Wünschen und Erfordernissen der hohen Frau angefertigt und vom Steuerzahler bezahlt. Aus all diesen Gründen – und ich erwähne hier nur die gravierendsten! – ist man an höherer Stelle übereingekommen, Sie aus dem Think Tank der Bundesregierung zu entfernen und Ihnen das momentan verwaiste Amt des Pressesprechers des Bundespräsidenten zu übertragen. Sie werden mit sofortiger Wirkung auf freien Fuß gesetzt, nach Schloss Bellevue verfrachtet und dort mit Ihrer grauenvollen Tätigkeit, das Image des Bundespräsidenten zu verbessern, alleingelassen. Das Einlegen von Rechtsmitteln gegen dieses Urteil ist nicht möglich.“
    Der Mann erhob sich und erwartete, dass auch Kriesling-Schönefärb sich erhob. Dem gelang dies nach mehreren Versuchen, er stand auf schwachen, wie von Ameisen durchkrabbelten Beinen, er wankte, hielt sich am Schreibtisch fest, richtete sich endlich zu voller Größe auf. „Das ist doch jetzt nicht wahr, oder?“
    „Meinen Sie, ich mache hier Scherze?“ Der Mann sah ihn kopfschüttelnd an. „Wir leben in Notzeiten, mein Lieber, da können Sie nicht auf Milde hoffen. Wahrscheinlich haben Sie damit gerechnet, eine Kugel en passant in den Kopf zu bekommen, alles vorbei, alles erledigt. Aber wie gesagt: Die Zeiten sind nicht danach. Man wird Ihnen Ihre Besitztümer aushändigen und Sie sofort aus der Haft entlassen. Ihr Dienst beim Bundespräsidenten beginnt morgen früh Punkt halb neun. Wenn Sie Schloss Bellevue betreten, passen Sie auf. Im Foyer stehen Kindertretautos rum, da ist schon mancher drüber gestolpert. Dies nur als kleiner Tipp am Rande.“
    Die Kleider, die man ihm weggenommen hatte, waren frisch gebügelt worden. Man ließ ihn allein, er zog sich um. Ein warmer, heller Raum mit Fenster nach Süden, die Sonne war soeben aufgegangen und schien über dem Regierungsviertel. Ja, er war in Berlin, er war im Zentrum der Macht, er befand sich im Keller des Bundeskanzleramts, das Fenster lag auf Straßenniveau, ein Kellerfenster eben und doch wie ein Wunder. Man führte ihn hinaus, zwei schweigende Männer, diesmal ohne Uniform. Kein Wort zum Abschied, als man ihn vor die Tür setzte.
    Kriesling-Schönefärb nahm ein Taxi zu seiner Wohnung. Im Briefkasten fand er seine offizielle Berufung zum Pressesprecher des Bundespräsidenten sowie die Einladung eines ihm namentlich und auch sonst unbekannten Herrn zu einem kostenlosen dreiwöchigen Urlaub in der Uckermark, „verfügen Sie völlig über meine Finca, die gefüllten Kühlschränke, das Dienstpersonal und die leichten Mädchen des benachbarten Luxusbordells CASA AMORE. Darf ich auf gelegentliche Gegenleistung hoffen?“ Kriesling-Schönefärb kamen die Tränen.
     
     
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    Jemand klopfte. An die Wand, an die Tür? Das wusste ich nicht. Ich hörte nur dieses penetrante Klopfen und dachte mir: Tu dir das nicht länger an, Moritz, wach endlich auf. Denn ich träumte natürlich. Und ich mag keine Träume, die Radio sind, nur Ton, nur Klopfen, aber nicht die Spur eines Bildes. Wo war ich? In einem Bett. In meinem Bett. „Frauensachen“, hatte Hermine gesagt, als ich gestern Abend mit ihr nach Hause gehen wollte, „Frauensachen“ – und Jonas, hämisch grinsend: „Tja, da guckst. Bist aufm falschen Fuß erwischt worden, ne?“ Konnte man so sagen.
    Es klopfte immer noch. Ich schrie „Ruhe!“ Aber nur im Traum, niemand hörte es. Aufwachen, Moritz. Und weiter? Aufstehen, das ganze Morgenbrimborium – und weiter? Weiter nichts. Mein Leben war irgendwie aus den Fugen geraten, ich fühlte mich zermalmt von den Ereignissen, ich bekam kaum noch Luft, sogar im Traum war das so. Ich schnappte wie ein Fisch, das Klopfen wurde stärker, es war mal rhythmisch, mal unrhythmisch – und irgendwann hatte ich die Schnauze voll und öffnete die Augen. Das Klopfen hörte nicht auf. Ich schrie noch einmal „Ruhe!“ – und tatsächlich: Kein Klopfen mehr.
    Dafür eine Stimme: „Steh endlich auf, du fauler Sack, is wichtig!“ Das war Borsigs Stimme. Ich sah auf die Uhr, halb zehn. Wir hatten die „Bauernschenke“ gegen eins verlassen, das wusste ich noch. Heimwärts traben, Borsig im

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