Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
stinknormale Pommesbude in der Fußgängerzone, dort wo die Schulkinder immer vorbei müssen, wenn sie mittags zum Bus gehen... also ich meine: Pommes und Rote und Weiße und Curry, Bier und Cola, mehr würd ich gar nicht ins Angebot aufnehmen, lohnt sich alles nicht, ich will ja keinen stationären Gourmettempel, ich will nur einfach ne Pommesbude in der Fußgängerzone.“
„Wann fängst du an?“ fragte ich hämisch. „Hm“, antwortete Borsig verlegen, „ich denke mal nächste Woche. Das Angebot kam etwas überraschend, aber...“ „Hör auf, immer diese drei Pünktchen an deine wirren Sätze zu kleben. Du hast dich also kaufen lassen, hab ich Recht? Wer noch?“
Er wisse es nicht, sagte Borsig kleinlaut. Und was solle das heißen, „kaufen“? „Die schenken mir ja nix, die geben mir nur ne Chance, durch ehrliche Arbeit meine Currywürste zu verdienen. Gibt auch keine Bedingungen. Die verbieten mir nicht das Maul, wenn du das meinst.“
Genau das meinte ich. Hatte man mir ja auch nicht. Werden Sie ganz einfach Bundesbeauftragte für Bürgerglück... hm...klang nicht mal so schlecht. Ich stellte es mir auf Visitenkarten vor. Elegante Schriftart, geschwungen... Ich kickte jedes der drei Pünktchen einzeln und nacheinander in den Orkus.
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Mit einem gefakten Firmenschild hatte alles angefangen und mit einem gefakten Firmenschild würde alles enden. Das eine hatte mich zum Detektiv wider Willen werden lassen, das andere würde mich zum zahn- und ehrenlosen Schergen der Willkür machen, einem wohlbestallten Sesselfurzer mit Pensionsanspruch, der sein Gewissen morgens beim Rasieren wie zufällig im Badezimmer liegen lässt. Als ich aus der Haustür trat, warf ich einen raschen Blick an die Wand, doch dort hing noch nichts, was nicht vorher schon dagewesen war. „Moritz Klein, Bundesbeauftragter für Bürgerglück, Sprechstunden nach Vereinbarung“ – das Schildchen war wohl noch in der Mache.
Ich musste laufen. Untertauchen in der grauen Masse Mensch, aus der man mich ans grelle Licht der Popularität zu zerren gedachte. „Mach dir keinen Kopp“, hatte Borsig zum Abschied gerate, „wir bleiben trotzdem die Alten und lassen uns nicht kaufen. Das nennt man subversiv, oder?“
Vielleicht hatte er Recht. „Den Karl-Heiz, die Sau, den krall ich mir auf jeden Fall. Der steigt kleinen Mädchen nach, da hab ich mir gedacht, konfrontierst ihn mal mit ein paar besonders großen Mädchen.“ Heute Mittag sollte „das Ding“ über die Bühne gehen, Borsig freute sich darauf wie ein Kleinkind auf die Mutterbrust.
Nachdem er gegangen war, klingelte das Telefon. Unbekannte Nummer, ich ging nicht dran. Drei Minuten später klingelte es erneut, wieder unbekannte Nummer, eine andere als die erste, ich ging nicht dran. Das wiederholte sich ein Dutzend Mal, ich zählte mit. Und ging nicht dran.
Ich ging spazieren. Schwang mich spontan auf die Straßenbahn, ließ mich kreuz und quer durch die Stadt kutschieren, die Augen dumpf in der vorbeigezogenen Kulisse, alles Theater-Pappmaché, die Ohren in den Wörtern meiner Mitfahrer. Ein bunter Strauß gereizter Leck-mich-am-Arsch-Kommunikation, Fetzen, aus dem Drama des Alltags gerissen und in den Wind geworfen. „Jetzt gibt's kein Kleingeld mehr, schon mitgekriegt? Das schicken die wohl alles runter nach Griechenland zu diesen Faulenzern.“ „Der Gottschalk soll ma Abgang machen, also das tu ich mir nich mehr lang an, der hat doch Kohle genug, stimmts oder hab ich...“ „Was heißt hier RECHTER TERROR! Und die Linke ist im Parlament, das ganze Kommunistenpack! DIE sollte mal der Verfassungsschutz...“ „Wenn Götze nicht spielt, dann adé BVB!“ „Pattaya is geil, aber die Nutten werden immer älter.“ „Ja Mamma, ich sitz grad in der Straßenbahn. Nein, Mamma, ich vergess den Hüttenkäse nicht.“ „Ey Alda! Du bis' doch der von dem wo das Pic im Frühstücksfernseh, ne? Darf ich ma Handyfoto für die Bildzeitung machen?“
Ein höchstens Dreizehnjähriger mit Skaterfrisur. Hockte mir gegenüber, hatte sein Handy vor den Augen. „Ey wie geil is DAS denn! Machst auch Dschungelcamp?“ Ein Blitz. „Hast FB, Alda? Dann kannst mir ja Freundschaft machen, bin der Jerome Schröder.“
Sollte ich dem Knirps eine runterhauen? Ihn zwingen, mir den Film aus seinem Handy zu geben, damit ich ihn aufessen konnte? Ich seufzte nur und widmete mich wieder der Außenwelt, an Schnüren vorbeigezogen, hastende Passanten, Schneematsch, Tristesse. Eine Stunde fuhr
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