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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Bundestag.“  Wir hatten uns mit einem Küsschen begrüßt, jetzt marschierten wir schweigend unserem Ziel entgegen. „Erschrick nicht“, warnte Irmi, als die „Bauernschenke“ in Sichtweite kam.
    Ich erschrak schon, als ich die am Heizpilz rauchenden Gäste musterte. Über die Gesichter der Männer schienen Endlosbänder mit den aktuellen Börsennotierungen zu laufen, während die Gesichter der Frauen aussahen wie aus dem Leistungskatalog der Schönheitschirurgen. Man musterte uns herablassend. Irmi in ihrem weiten bunten Rock, den Palästinenserschal trotz der Schwüle elegant um den Hals geschwungen, mich in meinem 5-Euro-Hemd und der schon antiken Hose, die sich verschämt über die ausgelatschten Turnschuhe legte. „Guck mal, Hubsi, heut ist anscheinend Prollabend“, murmelte eine Blondine unbestimmbaren Alters und Hubsi murmelte „Holla, die versaufen ihr Hartz IV“ zurück. Ich rotzte demonstrativ auf den Asphalt und die Blondine sagte „huch“.
    „Huch!“ Das rutschte mir so raus, als ich des Inneren der „Bauernschenke“ ansichtig wurde, wie der Dichter sagt. Wo war die altmodische Möblierung geblieben? Wo das Flair des Morbiden, des Anachronistischen? Keine Ahnung, hier war sie jedenfalls nicht mehr. „Siehste“, nickte Irmi düster, „deshalb sag ich ja, du sollst nicht erschrecken. Hier siehts aus wie ne Kreuzung aus Puff und McDonalds.“ Ein guter Vergleich. Plastikmöbel mit rotem Plüschüberzug, von der Decke baumelte ein Kronleuchter, der in allen Regenbogenfarben vor sich hin funzelte. Aus unsichtbaren Lautsprechern warf sich modernes Liedgut todesmutig in den Raum, man hätte sein eigenes Wort nicht verstanden, wäre man nicht sprachlos gewesen.
    Hermine stand – in einem Traum aus Tüll und Nylon – hinter der Theke und fuhr gerade einen befrackten Kellner an, er solle sich seiner roten Gesichtsfarbe entwöhnen, das sei Aufgabe des Hummers, den er gerade serviere. Als sie Irmi und mich erblickte, nickte sie uns kurz zu und winkte einem weiteren Befrackten, der sich sofort und sehr servil näherte. „Haben die Herrschaften einen Tisch bestellt?“ Irmi musterte ihn langsam von oben nach unten. „Ich bestell doch keinen Tisch, wenn ich in ne Kneipe geh, Junge. Wir setzen uns grad hierher und du bringst mal für den Herrn ein Bierchen und für mich einen doppelten Eierlikör.“ Der Befrackte sah hilfeheischend zu Hermine, die ihm mit einem Nicken beschied, das gehe schon in Ordnung.
    „Bier kostet übrigens 12 Euro, nur damit du nicht in Ohnmacht fällst, wenn die Rechnung kommt.“ Ich schluckte. Mein Blick schweifte – oder schwiff, wie der Dichter sagt – durch den gut gefüllten Raum, wo sich mir unbekannte Personen lachend vergnügten, Personen, die kennenzulernen mir nicht in den Sinn kam. Menschen mit gebräunter Haut und gegelten Haaren, aufgespritzten Lippen und in Pariser Haute Couture – Fetzen. Kein Zweifel, die gute alte „Bauernschenke“ war DAS In-Lokal der Stadt, meine liebgewonnenen Rentner und die Teilnehmer des Krimi-Volkshochschulkurses suchte ich vergebens. Mein Bier kam. In einem silbernen Becher, dafür ohne Schaum.
     
     
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    Es war mir nicht entgangen, dass Hermine ihren beiden befrackten Domestiken etwas zugeflüstert und diese es dann ebenso geflüstert von Tisch zu Tisch getragen hatten. Sofort sahen die Gäste zu uns her und musterten dieses obskure Pärchen mit einer Blickmischung aus Gaffergeilheit und Sensationsgier. Das also war er, der Idiotendetektiv live, und an seiner Seite, man fasste es kaum, „die rote Baronin“, wie Irmi in Marxers Buch genannt wurde, Ex-Geliebte von Che Guevara, Rudi Dutschke und Franz-Josef Strauß, Femme Fatale der Achtundsechziger, nymphomanisch angehauchte Jeanne d'Arc auf Antibabypillenbasis. Kurz: ein Rasseweib.
    „Weißt du jetzt, warum ich nicht mehr gerne hierher komme? Einmal hat mich einer anfassen wollen, so ein neureicher IT-Nerd, weißt, ich sei eine Ikone der geilen Studentenbewegung und ob Jimi Hendrix wirklich so einen langen Riemen gehabt habe et cetera. Na, dem Hänfling hab ich den Marsch geblasen!“
    Wir taten so, als bemerkten wir das Interesse unserer Mitgäste nicht. Bier und Eierlikör schmeckten schal, die Speisekarte offerierte „Egg with Speck“, wahrscheinlich hatte Hermine Bacon für einen englischen Künstler gehalten. Wir entschieden uns für „Egg with Truffles“, was sich als Eier mit irgendwas drin entpuppte, das wie falscher Hase mit falschem Kaviar durchsetzt

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